Kolumnen 2007
Halloween und der obligatorische Besuch bei Deko-Behrendt

Abgretrennte Arme, an denen noch blutiger Knochen heraushängt, mit Würmern durchfressene vermoderte Augäpfel, zerhackte Totenschädel, umgekippte Sargdeckel - ach wie ist das schön!

Es ist wieder so weit: Ein herzliches und fröhliches Halloween!!! Und das bedeutet literweise Kürbissuppe löffeln bis zum orange werden, gruseliger Kommerz mit zahlreichen schauerlich-kitischigen Merchandisingprodukten genau neben der Diddlmaus-Abteilung im Kaufhaus und überall Mottopartys.

Und mit letzterem fängt das Grauen erst richtig an. Denn was tun, wenn man kurzfristig auf eine lustige Halloweenkostümparty eingeladen wird? Hallo? Kostümparty? Das können die da am Rhein mit Helau und Kamelle machen, aber mit sonem Quatsch kann man einem Berliner doch nicht kommen, oder?

Aber wenn man kein Spielverderber sein will, hilft alles nichts und man muss sich eine passende Verkleidung besorgen. Dafür gibt es in der Stadt einschlägige Shops, und so verirrt man sich z.B. zu „Deko Behrend" in der Hauptstrasse.

„Ding Dong!" Schon beim Betreten muss man selbst als der größte Verkleidungsmuffel seine kritische Meinung ändern, denn der Shop ist der Gutelauneknaller! Was für ein Fest für die Sinne: Da hängen Millionen Scherzartikel, Perücken, Kotze aus Plastik, Krankenschwesterkostüme, Tröten, Kreisel, Konfettibomben, falsche Zähne und Wackelaugenbrillen - und natürlich eine große saisonale Halloween-Horrorauswahl mit allen erdenklichen Splatter-utensilien.

Und das Beste: Man kann alles ausprobieren und wird umgehend und sehr zuvorkommend bedient: „Der Herr, die bluttriefende Frankensteinmaske steht Ihnen ganz ausgezeichnet, dazu sollten Sie aber noch das halb abgehackte Bein tragen." Oder: „Erna, kannst Du dem Kunden bitte noch etwas Kunstblut zu seinem Kinderfressermadengedärm- und Würmerrotzumhang geben?"

Eine sensationelle Beratung, wie es sie bei keinem Herrenausstatter gibt. Und so probiert man ein paar Kostüme aus und wünscht sich plötzlich nichts sehnlicher, als sich am liebsten jeden Tag verkleiden zu dürfen. Nach ein paar Stunden hat man sich dann mit diversen Scherzartikeln für die Kollegen eingedeckt und ein herrlich blutrünstiges Kostüm ausgesucht, und weil man so begeistert ist, bittet man die Verkäuferin (so wie damals als Kind beim Kauf der ersten Turnschuhe mit Klettverschluss), das Teil doch bitte auch gleich anbehalten zu können.

Das ist ein Spaß, als man so kostümiert vor die Tür des Ladens tritt und die Kindergartenkinder an der Bushaltestelle mit lautem „Jetzt gibt's Saures!"-Geschrei derartig erschreckt, dass diese mit ihren Therapeuten sicherlich noch in 30 Jahren diese Sequenz aufarbeiten müssen.

Doch plötzlich erschrickt man selbst und fährt vor nackter Angst zusammen, hat eisige Schweißperlen auf der Stirn, so dass das Kunstblut der Maske gefriert. Um Himmelswillen, was ist das für ein schrecklicher Anblick: Eine Dame vom Ordnungsamt (mit den obligatorisch lila gefärbten Haaren) steckt gerade süffisant grinsend einen Strafzettel für das Parken in der Busspur unter den Scheibenwischer des Autos, mit dem man eigentlich gerade wegfahren möchte.

Von dem Schock etwas erholt, gibt es nur eins: Man schleicht sich von hinten an die Ordnungsamtdame heran, tippt sie mit der wabbeligen Armstumpenprotese an die Schulter und ruft „BUHH", geht danach in den Laden zurück und tauscht das Frankenstein-Blutmatsch-Splatterkostüm um - und zwar in das einzig wirklich wahre Kostüm für eine Halloweenparty: eine Uniform bestehend aus Bluse und blauer Buntfaltenhose (inklusive einer lilafarbenen Haartönung) - denn mehr Horror und Schrecken geht nun wirklich nicht! BUHH!!



Prinz Pikkolo, Oktober 2007


Die Plage des Sommers

In mehr oder weniger lauen Sommernächten schwirren die Weibchen in Scharen aus - auf der Suche nach Opfern. Sie lechzen nach nackten verschwitzten Körpern, über die sie sich unerbittlich und unersättlich hermachen können. Wenn sie ein gemeinsames Opfer erspäht haben, greifen sie aus dem Hinterhalt an. Der Hilflose kann sich nicht wehren, muss alles über sich ergehen lassen. Die Weibchen saugen an jeder nur erdenklichen Stelle des Körpers, hinter den Ohren, am Nacken, tiefer und tiefer und noch viel tiefer. WoooOOOoooaaaAAAAAA! Es kribbelt und prickelt, und man wird mit Sicherheit noch lange an diese Nacht erinnert. Die Stellen der Saugattacken am Körper sind nicht zu übersehen. Diese kleinen fiesen Biester!

Die Rede ist natürlich von der unglaublichen Mückenplage in diesem Jahr - einer Thematik, an der derzeit einfach niemand vorbeikommt. Mücken sind aber nicht nur aus einleitend erotischen Gesichtspunkten geil, sondern haben noch viele andere tolle Funktionen! Daher an dieser Stelle eine differenzierte interdisziplinäre Mückenanalyse, die keinen Aspekt mehr offen lässt.

Zunächst ist den Mücken eine erhebliche soziale Funktion zuzuschreiben, schließlich sind die stechenden Viecher mittlerweile Lieblingsthema aller Stammtische oder Kaffeklatschereien der Nation. Den Mücken sei Dank, sprechen die Menschen endlich mal wieder miteinander. Da wird gefachsimpelt über die besten Mückenjagdtipps oder Fallentricks und manch Hobbywissenschaftler generiert dabei sogar bahnbrechende neue wissenschaftliche Erkenntnisse: So ist es ja wohl aufgrund der Tatsache, dass nur die Mückenweibchen stechen und sich an dem Blut anderer laben (während die Männchen lediglich Nektar zu sich nehmen!), evolutionstheoretisch so klar wir Kloßbrühe bewiesen, dass der Mensch von den Mücken abstammt.

Aber auch unter ästhetischen Gesichtspunkten sind Mücken ganz große Klasse: Überall sieht man Leute mit stichbedingten roten Punkten, Pusteln, Pfropfen oder Flatschen an den unmöglichsten Stellen des Körpers - und das sieht einfach putzig und lustig aus und bringt endlich mal wieder ein bisschen Farbe in die Stadt. Das ist wie jeden Tag Fasching, Loveparade und Christopher Street Day! Aber noch besser ist es, wenn man selber ein paar Stiche hat: Die jucken wie verrückt, es macht einen fast wahnsinnig! Aber leider ist die Befriedigung des Juckreizes lediglich von kurzer Dauer, nämlich exakt nur dann, wenn man wie wild dran herum kratzt. Sobald man aufhört, setzt neuer Juckreiz und damit neues Verlangen ein! Und jeder weiß, dass das Jucken mit jedem Kratzen immer nur noch viel schlimmer wird, aber man kann es dennoch nicht lassen. So muss sich ein Junkie fühlen, womit zu all dem auch noch ein pädagogischer Aspekt kommt: Mückenstiche ermöglichen die positive Rückkopplung des Suchtverhaltens zum Anfassen!

Wenn man sich derzeit in den paar lauen Sommernächten des Jahres zünftig ein paar Steaks auf den Grill haut, im Biergarten sitzt oder um einen See joggt, wird man mit Sicherheit das ein oder andere mal eine Mücke verschlucken. Das kribbelt wie Brausepulver, wenn diese in der Speiseröhre noch weiter surrend mit den Flügelchen schlägt, während sie kontraktierend in den Verdauungstrakt gepresst wird. Statistiken besagen, dass jeder Mensch in seinem Leben (zumeist in der Nacht wegen des Schnarchens bei offenem Mund) mehrere Insekten (davon ca. 8 Spinnen) verspeist. Dank dieses Sommers werden es wohl noch ein paar Gramm mehr werden!

Neben dem ernährungsspezifischen ist aber vor allem der wirtschaftliche Mückenaspekt nicht zu verachten. Den massiven Millionenverlusten durch Arbeitsausfällen aufgrund mückenbedingter unausgeschlafener Arbeitnehmer (die Dinger machen einen Höllenlärm wie Rosinenbomber, wenn sie durch die Zimmer surren - an Schlaf ist da nicht zu denken), stehen erhebliche Einnahmen gegenüber: Die Nachfrage nach Moskitonetzen nimmt rapide zu, elektronische Mückenfänger, die die Viecher mit Schallwellen verscheuchen oder per Neonlicht anlocken, um sie dann mit einem brutzeligen „Zzzzz" zu verkohlen, gehen weg wie sonst was, und in den neuen Bundesländern wird sogar aufgrund von Hamsterkäufen der Malariaimpfstoff knapp. Unterm Strich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung dürften die Mücken sogar zu einem saftigen PLUS beitragen!

Zu guter Letzt sei noch auf den medialen Mückenaspekt hingewiesen: Alle People Magazine in Print und TV haben ihr dankbares Thema fürs Sommerloch, und man kann es förmlich schon erahnen, wie derzeit zugedröhnte Kreativdirektoren privater TV Sender an neuen Showkonzepten arbeiten. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann es eine Samstagabendshow gibt, bei der E-Prominente im ganz großen Stil in Teams gegeneinander antreten, um auf Mückenjagd zu gehen und dabei nach einem ausgeklügelten System Punkte sammeln (im Flug gefangene Mücken geben 20 Punkte, an der Wand zerquetschte ohne Blutfleck 10, mit Blutfleck 5; mit der Hand gefangen 4, mit einem Gegenstand getroffen 2 Extra-Punkte u.s.w.u.s.f.). Das Gewinnerteam würde dann einen Pokal mit Flügeln statt mit Henkeln oder ein Jahresabo „Autan" bekommen - und zu guter Letzt könnten ganz besonders schöne, fette und saftige Exponate beim Tierpräparateur bearbeitet, auf Holztafeln geschraubt und als Trophäen zum an die Wand hängen für einen guten Zweck versteigert werden.

Hach ja, so viele tolle mückenspezifische Aspekte! Aber nun ist endlich auch mal gut mit dem Ganzen, denn nichts desto trotz: MÜCKEN SUCKEN!


Prinz Pikkolo, August 2007


Premium Flatrate-Parties

Vor kurzem wurde in der Presse neben „Knuddel-Knut" ein Thema ganz besonders durchdiskutiert: Flatrate Partys und so genanntes Bingedrinking - beides Veranstaltungen, bei denen sich Jugendliche in Großraumdiskotheken im Tropicalschick mit Bambusröhren, Plastikpalmen und billigen arschgeweihten und gepiercten Gogos für 4.99 methylalkoholisierten Fusel aus Plastikbechern bis zur Erblindung und Besinnungslosigkeit in den Rachen gießen! Von allen Seiten kam der Aufruf, dass damit Schluss sein muss, ja, das darf so nicht weitergehen, was soll denn bloß aus der Jugend werden?!

Zu Recht! Das Leben ist schließlich viel zu kurz, um schlechten Schnaps zu trinken! Wie wäre es denn stattdessen mit einem Konzept für „Premium Flatrate Partys"? Für einen Beitrag von ca. 4000 EURO könnte sich dann jede und jeder in tollen Clubs an hochwertigen Spirituosen laben.

Die Szenerie wäre ungefähr folgende: Putzige Töchterchen aus gutem Hause setzen ihre roten Lippenstiftmünder an Magnum-Flaschen Krug oder Bollinger Blanc de Noirs Vieilles Vignes Francaises oder gleich an der Nebukadnezar, um die prickelnde Flüssigkeit herunterzuschlürfen, so dass es im Magen sprudelt als ob sich dort 10 Packungen Ahoi-Brause und vier Vitamin C Tabletten auflösen; Jungs mit hochgeklappten Hemdkragen lassen „auf ex" Lafite oder Mouton Rotschilds aus den 50er Jahren den Schlund hinunter rinnen, so lange bis ihre Zähne von all den ungestümen Tanninen tiefrot und ganz stumpf geworden sind; und andere wiederum mixen Single Malts wie Balvenie Cask 191 Rare mit Cola und denken aufgrund des tiefen Torfgeschmackes, sie hätten ganze schottische Moorlandschaften abgegrast oder gar aufgegessen.

Die etwas älteren Gäste schlürfen mahagonifarbenes flüssiges Gold wie Remy Martin Louis XIII oder Hennessy Richard oder bedienen sich gleich direkt mit Kristallgläsern am Cognac aus herrlich beschlagenen Eichenfässern. Im Hintergrund sprudelt ein Brunnen mit Fontänen aus feinsten Weinbränden, und dort, wo sich sonst eine Tanzfläche befindet, ist eine Bowle der Superlative angerichtet: ein riesiges Marmorbecken, gefüllt mit Hektolitern Roséjahrgangschampagnger und tausenden köstlichen Früchten, mittendrin rudert eine hübsche Frau im knappen Marineoutfit in einem kleinen Boot aus Rosenholz herum und bedient von dort aus die fröhliche Gesellschaft.

Dieses neue Flatratekonzept wäre sicherlich nicht weniger ungesund, aber doch etwas eleganter. À votre santé!


Prinz Pikkolo, Mai 2007

Zum Frühlingsanfang: war, ist und soll sein

Ein Frühlingsanfang, wie wir ihn lieben: Die Vögel zwitschern als wollten sie eine Hochzeit feier (fideralalalalalalalaaa), die Knospenknacken, und das Thermometer zeigt 19 Grad. Der Frühling brach diesesJahr schon vor einigen Tagen sehr früh und heftig herein. Die Natur spielt absolut verrückt - aber nicht nur die, sondern auch die Kinder dieser Stadt sind ja prinzipiell vollkommen außer Rand und Band sobald der erste Sonnenstrahl die Haut schmeichelt.

Und so zeigte sich in den letzten Tagen durchaus ritualisiert wie jedes Jahr die folgende Frühlingsszenerie: Mit Testosteron durchflutete Jugendliche mit Migrationshintergrund cruisen hupend und pfeifend über
den Ku-damm, im Solarium vorgebräunte Girlies zwängen sich endlich dankbar ohne Rücksicht auf quillenden Winterspeck in ihre Hüfthosen, vor Straßencafés sitzende Menschenmassen mit nach oben geklappten Hemdkragen schlürfen lässig ihre Latte-Mattschatoos mit Vanille Sirup aus Pappbechern und auch in den Biergärten werden schnell die Würmer aus den Zapfanlagen gespült. Fröhliche Frühlingsflirterei allerorten!

Nun ja, das war vorgestern! Seit heute ist der wirkliche, kalendarische Frühlingsanfang - und es regnet und ist wieder so kalt, dass man erneut die Winterreifen aufziehen und die Daunenjacke aus dem Schrank holen kann. In den nächsten Tagen soll es sogar schneien. Aber danach wird es ganz sicher wieder frühlingshaft warm, dann wieder kalt und dann wieder frühlingshaft warm, dann wieder winterlich kalt und dann wieder frühlingshaft warm, dann wieder winterlich kalt und dann wieder frühlingshaft warm, dann wieder winterlich kalt und dann wieder frühlingshaft warm, dann wieder winterlich kalt und dann vielleicht
wieder frühlingshaft warm.

Das haben wir nun alle von dem ganzen Raubbau an der Natur in den letzten Jahren, wir sollten uns alle ganz gehörig schämen! Aber da ein Bierglas nie halb leer, sondern immer halb voll ist, ist das
andererseits doch auch geilomat: Schließlich können wir Dank all der Methan furzenden Fastfoodkühe und Sprit fressenden Sports Utility Vehicles nun mehrmals im Jahr das erste flirrende Frühlingsgefühl genießen, und somit viel öfter fummeln, grabschen und mit dem Hinterteil wackeln! Darauf einen Doppelwopper und ne volle Tankladung Superduperdoppelplusbenzin!

Prinz Pikkolo, März 2007

24 Hour Photo - Voyeurismus als Lebensaufgabe

Partybilder auf einschlägigen Internetseiten angucken oder Kontakte in virtuellen Netzwerken pflegen - laaaaangweiiiiliiiigggg!   (vgl. Kolumne „In einem Netzwerk mit Naomi" unter http://www.helden-der-nacht.de/kolumnen2006.htm )   Derzeit grassiert ein neues beliebtes Online-Massenphänomen: Plattformen wie „My Video", „You Tube" oder „Ringo" sprießen inflationär aus virtuellem Boden, wo wirklich jede und jeder mit einem einzigen Mausklick private Fotos und Videosequenzen hochladen und dem Rest der Welt zur Verfügung stellen kann. Dank erstaunlicher Klickzahlen (z.B. durch Empfehlungen per Büro-Emailverteiler) werden manchmal über Nacht sogar echte Stars geboren. Man denke nur einmal an die philosophischen Weisheiten von Vollassi-Bambababamm-Toni, die mittlerweile jeder Zwölfjährige auswendig zitieren kann.

Zumeist erschöpfen sich solche Plattformbeiträge in der Darstellung lustiger Grimassen von rosaverschrumpelten Babys, witziger Pannen bei Familienfesten, luftgitarrespielender Pubertätsbolzen, verkrampft erotischer Selbstinszenierungen putziger Teenymädels oder eines Spontan-Videos der sonntäglichen Afterparty im Coffee-Shop (siehe „Einstein Chillout-Video" bei YouTube, u.a. heiß diskutiert hier im Forum).

So schön so gut, das mag ausreichen für Leute, die sich auch über massenkompatiblen Bully-Herbig-Humor oder Ottos „7 Zwerge" schlapp lachen. Aber das wirklich Interessante spielt sich hier auf einer viel subtileren Metaebene ab: Die Fotos und Videos ermöglichen einen bisher nie da gewesenen Einblick in die Privatsphäre fremder Menschen. Per Mausklick ist man plötzlich mittendrin in fremden Wohn- und Kinderzimmern, plötzlich ist man Teil der Einschulung von Klausi in Wuppertal, Gast des 75. Geburtstages von Oma Ilse in Regensburg oder heimlicher Beobachter der erotischen Fotografierversuche pubertierender Mädchen mit Selbstauslöser aus Eisenhüttenstadt. Aber nicht nur national, sondern auch international kann man durch fremde Wohnungen und private Fotoalben surfen: Weihnachten in Mexiko, Canyonrafting mit Collegekids, Junggesellenabschiede bei „Hooters" in Arizona und und und.

Wenn man sich immer wieder durch die fremden Videos und Fotoalben klickt, nimmt das Auge mit jedem Mal mehr Feinheiten der fremden Kulisse wahr: Die Wohnungseinrichtung, die Couchgarnitur, das Muster der Tapeten, die Diddl-Mäuse im Regal, die Urlaubsmitbringsel in der Schrankwand, die Farbe des Bettbezugs, die Familienbilder in silbernen Rahmen im Hintergrund, und plötzlich fügen sich all diese Puzzleteile zu einem enthüllenden Ganzen zusammen, die Indizien ergeben ein Gesamtbild über die fremden Menschen, ihren sozialen Background, ihre Freunde, Hobbys und Vorlieben, bis sich irgendwann aus der anfänglichen Anonymität eine tiefe Intimität entwickelt.

Wie Sy Parrish (gespielt von Robin Williams) in „One Hour Photo" kann man dank dieser Video- und Fotoplattformen 24 Stunden am Leben anderer teilnehmen und virtuell in vielen Ersatzfamilien gleichzeitig leben. Musste Sy Parrish noch die Bilder für die Befriedigung seiner voyeuristischen Lust im Fotoladen geheim unter Riskieren seines Jobs doppelt abziehen, reicht heute ein einziger legaler Klick.

Gerade zur tristen Januar/Februar-Zeit bietet diese Form der virtuellen Welt - vor allem einsamen Menschen - eine herrliche Geborgenheit. So kann jeder bei Chips und Cola vor dem heimischen Computer sitzend in tausenden fremden privaten Fotoalben stöbern, dabei tiefe Beziehungen zu diesen Menschen aufbauen und Teil vieler anderer Lebensgemeinschaften werden. Und wer daran dann wirklich Gefallen findet und nicht länger nur "Mausklick-Stalker" bleiben will, sollte gleich mal ein Nachtsichtgerät oder einfach mal ein Röntgengerät auf die Shopping-Liste setzen und damit dann in dunklen Wintertagen durch die eigene Wohngegend schleichen.

Prinz Pikkolo, Januar 2007

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