Kolumnen 2006
Barbie Bling Bling- das ultimative Weihnachtsgeschenk 2006

Weihnachten steht vor der Tür, und Kinder im ganzen Land fluten derzeit - inspiriert von Spielzeugabteilungen und Geschenkebeilagen der Tageszeitungen - ihre Wunschzettel. Das Kinderherz befriedigende Portfolio reicht von Geschenkeklassikern wie Gesellschaftsspiele, Carrera- und Eisenbahnen über Kuscheltiere und Puppen bis hin zu modernen portablen Videokonsolen.

Aber ein Spielzeug fällt in diesen Tagen besonders auf: Der „Glitzerwelt Maniküre- und Frisurenkopf" von Barbie / my scene - ein nahezu lebensgroßer Kopf mit viertel Oberkörper, Armen und Händen, an dem Mädchen im Kindergarten- und Grundschulalter ihrer angeborenen oder sozialisierten Leidenschaft nach Styling, Schminken und Schmücken quasi professionell nachgehen können.

Soweit so gut, nun sieht aber diese Hartgummifigur so aus, als hätten sämtliche üblichen Verdächtigen der BILD-Klatschspalte und TV-Luderszene gleichzeitig dafür Modell gestanden: Ein braungebranntes Dekolleté einer Kader Loth, weit abstehend große Kulleraugen einer Yvonne Catterfeld, das bitchige Outfit einer Tatjana Gsell, die dicken, prallen und gespreizten Lippen einer Tochter Ohoven, toupiertes Haar us-amerikanischer Highschool-Schönheitsköniginnen, akkurate Fingernägel einer Paris Hilton und die zarten Gummihändchen etepete ausgestreckt, wie verzogene Berufstöchter in St. Moritz. Und da die „Glitzerwelt" Packungsbeilage „Super Bling Bling inside" verspricht, liegt eine Menge überdimensionierter funkelnder Modeschmuck bei: Ringe, Ketten, Glitzerkrönchen, kreolenartiges Ohrgehänge, Spängchen und Armbänder bis zum Verrücktwerden.

Wow, das ist ein Spielzeug ganz neuer Dimension! Aber wer um Himmelswillen ist die Zielgruppe für dieses Teil? Was sollen das für Mädchen sein, die sich so etwas wünschen oder geschenkt bekommen oder noch viel wichtiger: was wird denn später mal aus den kleinen Mädchen, die schon im Grundschulalter einen herrlichen Spaß daran haben, dieser quasi pornösen Figur dick Glitzergloss auf die unanständigen Lippen zu schmieren und dabei auf Pyjamapartys mit ihren herumalbernden Freundinnen verkrampft versuchen, die intentional bitchige Gummigestik der Puppe in den eigenen Habitus zu übernehmen? Seriöse Stylistinnen und medizinische Fußpflegerinnen oder vielleicht doch eher It-Girls, Boxenluder Titelgirls von Schmuddelheften, Kandidatinnen für magersüchtige Talentshows und Hostessen der Venus oder Essen-Motor-Show im Jahre 2010?

Wahrscheinlich gar nichts davon, denn schließlich werden kleine Jungs, die eine elektrische Eisenbahn zu Weihnachten geschenkt bekommen, auch nur selten Lokomotivführer.

Aber dennoch: Dieser Maniküre-Frisurenkopf, mit dem offensichtlich schon kleine Schulmädchen von der Spielzeugindustrie systematisch zu oberflächlichen Tussis sozialisiert werden sollen, ist unter erzieherischen und moralischen Gesichtspunkten wirklich kein geeignetes Spielzeug! Nein, da muss man den pädagogischen Zeigefinger entschieden ganz doll heben und lautstark schimpfen!

Dagegen könnte aber der Maniküre- und Frisurenkopf für eine ganz andere Zielgruppe durchaus sehr geeignet sein, viel Freude bereiten und ein echter Kassenschlager werden: Jung gebliebene männliche Erwachsene haben endlich etwas zum streicheln und lieb haben und endlich jemanden, den man als Junggeselle seinen Verwandten beim weihnachtlichen Gänseessen als Partnerin vorstellen kann. Es ist zwar nur ein Kopf mit einem viertel Oberkörper, Plastikarmen und -händen, aber dafür gibt es das alles zum Schnäppchenpreis von nur 49 EURO! Danke, lieber Hersteller Mattel für diese wundervolle Glitzerwelt! Vielen lieben Dank!

P.S. Und weil´s so schön passt, abschließend ausnahmsweise noch ein Witz: „Was ist eine Gummipuppe mit weißen Augen?" Antwort: „Voll!"


Prinz Pikkolo, Dezember 2006

Geiz suckzz (Fidschi-Wasser für alle!)

„Geiz ist geil", ballert es immerfort subtil aus jedem Werbekanal. Zugegeben, beim Lebensmitteldiscounter kann man ganz toll sparen und oftmals sogar auch recht vernünftige Sachen kaufen, z.B. wenn Qualitätsmarken unter anderem Namen auf den Billigmarkt geworfen werden. Und es gibt Produkte für den alltäglichen Hausgebrauch, bei denen einem die Marke nun wirklich im wahrsten Sinne des Wortes scheißegal sein kann, z.B. ob man sich mit „Charmin" oder „Solo" den Hintern abwischt - Hauptsache mindestens dreilagig!

Der Besuch bei einem Discounter kann aber auch ganz schön ungeil sein, vor allem dann, wenn man sich wie im vergangenen Sommer irgendwann mal - dem Verdursten nahe - mehrere zellufanverpackte 6er-Träger Wasserflaschen gekauft hat und nun endlich mal das Leergut zurückgeben will. Dass das Dosen- oder Einwegpfand eine ganz elendige Sache ist, haben wir damals an dieser Stelle schon diskutiert (vgl.
Kolumne Januar 2003 ), aber dass es solche irrsinnigen Ausmaße annehmen würde, hätte man damals doch nicht gedacht!

Die grundsätzliche Frage ist zunächst: „Wohin mit all den leeren Flaschen, die man nicht mehr in die Tone werfen und auch nicht mehr in ihrer Form verändern darf?" Um zu Hause nicht an Einwegflaschen zu ersticken, bietet es sich beispielsweise an, die leeren Dinger in den Kofferraum zu packen und das Auto als fahrbaren Leerguttransporter zu missbrauchen - bis man sich aber irgendwann aus verkehrssicherheitstechnischen Gründen doch mal entschließen muss, das Leergut abzugeben. Das Dumme ist jedoch, dass man gerade die Discounterflaschen nicht einfach überall zurückgeben darf, sondern nur bei dem jeweiligen Anbieter.

Also macht man sich zähneknirschend dorthin auf - und es trifft einen der Schlag: Vor diesen Einweggetränkerücknahmeautomaten ist grundsätzlich eine ewiglange Menschenschlange. Jeder Kunde tut seine Flaschen einzeln da in dieses Gerät rein, so dass es - selbst wenn nur ein paar Leute da vor einem anstehen - eine Ewigkeit dauern wird. Schließlich bringt ja keiner nur eine einzige Flasche mal so eben zurück, sondern den ganzen Monatsvorrat.

Auch wenn es anfänglich noch ganz witzig sein kann, die Kunden in den Läden zu beobachten - z.B. solche, die ihren Fahrradhelm nicht einmal absetzen und beim Schieben ihres Einkaufswagens murmeln: „Sie sind unter uns und werden Euch alle kriegen!" - wird es bald nervig.

Und so bleibt einem nichts anderes übrig, zu warten, bis man endlich selbst an der Reihe ist. Aber das kann trotz modernster Technik dauern: Jede Flasche wird einzeln auf ein Förderband gelegt und automatisch in das Innere eingezogen, dann dreht der Automat das Ding ein paar mal herum, scannt das Etikett bis ein mechanischer Hebel das Plastikteil piepsend in eine Presse schubst, knirschend platt macht und schließlich in einen Behälter abgibt. So zumindest sieht die Theorie aus, aber spätestens bei der vierten Flasche wird die Fehleranfälligkeit dieses Rücknahmesystems deutlich: So kann der Automat beispielsweise eine Flasche nicht annehmen, wenn sich das Etikett etwas abgelöst hat - und das scheint öfter mal zu passieren. Dann blinkt eine orangefarbene Alarmleuchte und der ganze Rücknahmeverkehr gerät ins Stocken. Noch absurder wird es aber, wenn eine Flasche etwas verbeult ist. Auch dann kann der Automat das Teil nicht annehmen, der Discounterkunde weiß sich in diesem Falle aber zu helfen: Er nimmt die Flasche einfach wieder heraus, schraubt sie auf, pustet so lange Luft hinein, bis die Flasche wieder ihre normale Form annimmt, schraubt sie zu und versucht es erneut.

Während die Kunden nun vor einem in der Schlange ihre Flaschen aufpusten (das muss man sich mal bitte bildlich vorstellen!!), kann man selbst ganz in Ruhe über das Leben nachdenken und dabei vielleicht eine kleine Kopfrechnung aufstellen: Wenn das Rücknahmeprozedere pro Flasche im Normalfall ca. 5 Sekunden dauert und noch einmal eine durchschnittliche außerplanmäßige, fehlerbedingte Zeitkonstante von 3 Sekunden pro Flasche dazukommt und jeder Kunde 3 Liter Wasser pro Tag trinkt, nur alle vier Wochen hier einkauft und ca. 10 Kunden vor einem in der Warteschlange stehen, dann ähhh, nun dann ähhh, dann verschwendet man hier in der Warteschlange auf jeden Fall eine ganze Menge Lebenszeit, die man auch nicht durch die paar gesparten Cent beim Discountereinkauf aufrechnen kann: So viel Klopapier kann man nämlich gar nicht kaufen, dass sich das hier alles lohnen würde! In der Zeit hätte man großartige Erfindungen machen können (z.B. eine Suchmaschine für das Internet oder die erste Firma für Klingeltöne gründen) oder unzählige Kinder zeugen können oder... - plötzlich schreien die Leute in der Warteschlange auf, denn der Behälter des Automaten ist randvoll. Nichts geht mehr!

In dem Moment, als sich der Azubi im weißen Kittel von der Kasse (an der natürlich auch eine sehr lange Menschenschlange ungeduldig wartet) entfernt, um die Behälter in Zeitlupentempo auszuwechseln, kann man nur einen einzigen Entschluss fassen: Es reicht! Und so lässt man konsequenterweise seinen mit Leergut prallgefüllten Einkaufswagen einfach stehen (so wie Michael Douglas sein Auto im Stau in „Falling Down"), verlässt den Laden und beschließt dabei, doch wieder das teure Wasser von den Fidschi-Inseln (
www.fijiwater.com ) zu bestellen und sich per DHL Luftfrachtpost vor die Haustür liefern zu lassen.
Geiz suckzz!


Prinz Pikkolo, September 2006

Eckkneipe statt Clubbesuch!
Vom Berliner Nachtleben gelangweilt, habe ich Alternativen gesucht und eine echte zum Clubbesuch gefunden: Eckkneipen wie „Tränke", "Zum schönen Schluck" oder "Kummerstübchen". Die Stadt ist voll mit diesen alkoholischen Schatzkästchen, die allen Trends trotzen.

Am besten man kommt zur "Happy Hour", denn dann gibt es „Futschi für 1 Euro" oder ein Korn zum Pils gratis - und das sollte man wirklich nicht verpassen. Happy Hour ist hier meistens von 13 bis 15 Uhr, was verwundern mag, aber für Eckkneipenkunden ist das so was wie "after work", nur dass vorher nicht gearbeitet wird. Wenn man man die zwielichtige Kneipe betritt, eröffnet sich ein sagenhafter Mikrokosmos: Das Interieur ist so retro, dass es auf Designmessen prämiert werden würde: holzvertäfelter Tresen, Lichterketten, Plastikefeu, Porzellanclowns, vergilbte Poster, eine elektronische Dartscheibe und Spielautomaten.


Man setzt sich an den Tresen neben vier Männer, die den zahlreichen Strichen auf den Bierdeckeln und den blutunterlaufenen Augen zufolge dort offensichtlich schon länger sitzen und bestellt ein Pils bei der weiblichen Bedienung, die ihren unförmigen Körper in eine Stretchplastikhose gepresst und vom Rauchen gelbe Furchen im Gesicht hat. Sie legt den Zapfhahnhebel routiniert um und stellt einem kurz darauf zwinkernd das Bier mit spärlichen Kohlensäurebläschen vor die Nase: "Hier, Süßer!"


Weibliche Kneipenbedienungen sind ein Phänomen. Sie sind die inoffiziellen Therapeuten der Nacht und begehrter als alle anderen Frauen der Stadt. Auch für Atze neben einem am Tresen: "Kiek Dir doch nur mal diese Kurven an. Ist das ne Hammerbraut?" Man selbst fragt sich, ob die Frau, von der er so schwärmt, wirklich die Bedienung sein soll, aber nach fünf weiteren großen Bier wird man das genau so sehen, womit die alltagstheoretische Formel bezüglich der Schönheit einer Frau in Abhängigkeit des Bierkonsums wieder empirisch verifiziert wird. Weil Atze so galant ist und alle nicken, gibt es für alle einen Kurzen aufs Haus. Man stößt an und ist in diesem Moment eigentlich kein Fremder mehr.


Beim nächsten Bier schnappt man einige Gesprächsfetzen der Männer auf, die sich auf dem Tresen hängend lallend unterhalten. "Ick könnte ja in die Karibik fliegen, aber dit kenn ick allet schon - ausm Fernsehen. Außerdem kann man uff den Flügen nich rochen". Irgendwann schaut einer einem tief in die Augen und sagt eindringlich: "Jage nur, was Du auch töten kannst, mein Junge!" Und während man darüber nachdenkt, wird deutlich, dass hier echte Großstadtphilosophen ein Symposium abhalten. Ihre Beiträge erinnern vordergründig an Bildzeitungsschlagzeilen, aber auf den zweiten Blick besitzen sie einen Kern Wahrheit und Erkenntnisgewinn.


In der Ecke der Kneipe sitzt ein Mann seit Stunden meditierend auf einem Hocker vor einem Geldautomaten, der unaufhörlich blinkt und piept. Solche Geräte sind unter Rationalitätsgesichtspunkten vollkommen dubios: Man drückt gelbe Knöpfe, und unter einer Glasscheibe drehen sich Rädchen mit bunten Bildchen. Aber darum geht es hier eigentlich gar nicht. Es geht vielmehr um das bunte Blinken und Tonleiterpiepsen, was sich nach 2 Promille dank der alkoholtriefenden Sinne mit einem Gefühl der Hoffnung auf einen großen Gewinn und damit ein besseres Leben paart und so zu einem intraindividuellen ganzheitlichen Glücksgefühl entwickelt. Das Ding muss man nachher unbedingt ausprobieren!


Auf der anderen Seite des Tresens befindet sich der Stammtisch mit einem Gong. Wow, das ist doch mal ein V.I.P.-Bereich! Um hier sitzen zu dürfen, nützen weder Bändchen noch einflussreiche Bekannte. Diesen Platz muss man sich körperlich hart erarbeiten, mindestens alle zwei Tage einen Deckel Bier und Korn trinken - da reicht es nicht aus, ab und zu mal am Wochenende mit Schampus herumzuspritzen. Das hier ist Leistungssport! Begeistert schlägt man an den Gong, woraufhin sich alle Mienen aufhellen. Dieses Signal scheint lange nicht mehr ertönt zu sein, denn die Stütze vom Staat oder Rente reicht heute gerade noch für den Eigenkonsum. Und so ist man in diesem Moment für alle Gäste Weihnachtsmann, Osterhase und Sozialhilfebereichsleiter mit Bewilligungsschreiben in einer Person. Man schmeißt mehrere Runden, alle singen alte Schlager, und die Stimmung ist für 16.36 Uhr wirklich sensationell. Irgendwann spielt man dann noch mit einigen Gästen Dart, so dass überall Pfeile durch die Luft fliegen. Die Zeit vergeht wie im Fluge: man liegt sich lallend in den Armen und kennt irgendwann die sonst nur aus Nachmittagstalkshows bekannten Lebensgeschichten von Anja, Kalli und Klaus, die mit Sicherheit spannender sind als von Eliteinternatsschülern oder koksenden Models. Irgendwie fühlt man sich hier recht wohl und schon fast wie zu Hause, und beschließt, morgen ganz sicher wieder zu kommen - oder erst gar nicht mehr zu gehen… Lokalrunde für alle!


Prinz Pikkolo, April 2006.

In einem Netzwerk mit Naomi
„You have 3 pending connections", „connect", „Als Kontakt hinzufügen" Klick, Klick - und schwuppdiwupp sind einige Stunden um… Wer erst einmal bei Online-Netzwerken wie www.asmallworld.net oder www.openbc.com eingeladen wurde, ein Foto hochgeladen und die eigene Seite eingerichtet hat, kommt in den ersten Tagen so schnell nicht wieder davon los. Da wird während der Arbeitszeit oder bis spät in die Nacht in diesem neu eröffneten Kosmos gesurft, angeklickt und connected, was die Computertastatur hergibt.

Ein äußerst interessantes sozialpsychologisches Phänomen, welches offensichtlich auf den seit der Steinzeit existierenden menschlichen Bedürfnissen des Jagens und Sammelns sowie dem Wunsch nach sozialer Anerkennung gründet. Sammelleidenschaft zieht sich durch das ganze Leben: Im Alter von zwei Jahren sammeln Jungs Spielzeugautos und Mädchen Sachen für die Puppenküche, mit sechs Jahren sammeln Jungs Fußballklebebilder und Mädchen Barbies, mit 15 fangen Jungs an, Hochglanzmagazine zu sammeln und Mädchen Schuhe, aber das absolut Hochwertigste, was man von klein auf sammeln kann, sind Menschen! Wer zu den meisten Kindergeburtstagen eingeladen wurde, wer die meisten Telefonnummern im Handy einprogrammiert hat oder die wichtigsten Leute auf einer Party kennt, bekommt das höchste soziale Ansehen. Und daher ist es nur konsequent, dieser Sammelleidenschaft auch virtuell nachzugehen - und vom Computer aus ist das sogar besonders bequem. Also geht man im Orbit auf die Jagd, klickt sich mit der „Name-Vorname-Stadt-Position-Etc.-Suchfunktion" durch die Netzwerke und stellt dabei fest, daß die Welt doch wirklich recht klein ist und jeder über irgendwelche Ecken jeden kennt. Aber das wissen wir ja eigentlich schon lange, zumindest wird einem das schmerzlich deutlich, wenn man im V.I.P.-Bereich eines Clubs mit einem Mädchen rumfummelt und sich dann am nächsten Tag herausstellt, daß es sich um die beste Freundin der eigenen Freundin oder vielleicht sogar die eigene Cousine gehandelt hat. Daß jedoch fast jeder von uns über nur zwei oder drei Ecken Naomi Campbell kennt, dürfte irgendwie ein bisschen neu sein, aber damit wird nun endgültig die Hypothese verifiziert, daß alle Menschen von Adam und Eva abstammen und wir alle sowieso Brüder und Schwestern sind!

Als Neuling in einem Online-Netzwerk checkt man in den ersten Tagen begeistert und euphorisch sämtliche Member und trifft dabei vereinzelt auf Bekannte oder Kollegen, die man sofort in die eigene Kontaktseite aufnehmen möchte. Aber das geht nicht ganz so schnell, denn zunächst muß man dafür Einladungen verschicken, welche die anderen Mitglieder annehmen und bestätigen müssen. Ein Kontakt kann natürlich nur durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande kommen. Und das ist bei genauer Betrachtung eine ziemlich fragile Geschichte, denn durch die Virtualität werden sowohl bei Sender und Empfänger diverse soziale Hemmschwellen herabgesetzt: Auf der einen Seite ermöglicht ein einfacher Mausklick selbst dem Schüchternsten, Kontakt zu den coolsten Typen des Universums aufzunehmen, gleichzeitig ist aber seitens der Empfänger die Hemmschwelle, einen solchen Annäherungsversuch abzulehnen, weitaus geringer als im wirklichen Leben. Dort müsste man dem anderen noch in die Augen gucken und ihm sagen, daß er sich mal ganz kräftig verpissen könne, online braucht man dagegen nur auf den „nicht annehmen"-Button zu klicken.

Wenn dann aber nach teilweise langem Warten endlich eine Kontaktaufnahme erwidert wird, kann man sich darüber kindlich freuen und den anderen per Bild in seiner Liste sehen. Das ist wie damals Briefmarken in einem Album sammeln, nur halt mit kleinen JPGs echter Menschen in einer virtuellen Datenbank - und das Tollste dabei ist, daß alle anderen im Netzwerk sehen können, wie viele Leute man kennt. Wer die meisten Kontakte zu Partygrößen, Kollegen oder Prominenten hat, hat den höchsten sozialen Status. Apropos Analogie „Menschen sammeln wie Briefmarken": Man müsste mal ausprobieren, ob man heutzutage ein Date mit den Worten nach Hause locken kann: „Hey, hast Du Lust, noch mit zu mir zu kommen und meine „Smallworld-Kontakt-Sammlung" zu sehen?"

Wenn man die ersten bestätigten Kontakte aufweisen kann, setzt das Sammelfieber jedoch erst richtig ein. Man will immer mehr und mehr Menschen in der Liste haben und wildert schließlich in den Netzwerken anderer herum. Man verfängt sich in einem Strudel aus Anerkennung und Neid, weil andere immer mehr Leute kennen und versucht, durch die Anwerbung von Mitgliedern mit besonders großen Netzwerken als Trittbrettfahrer auf den Beliebtheitszug aufzuspringen, um zumindest so viele „Friends of Friends" oder „Kontakte 2. Grades" wie möglich zu besitzen.

Zu der Befriedigung eines jedes neuen Kontaktes gesellt sich zudem ein immer stärker wachsendes Gefühl der Hoffnung. Denn je größer das Netzwerk ist, desto wahrscheinlicher ist natürlich beruflicher und privater Erfolg: Wenn man auf die Gästeliste einer Party auf Mauii möchte, gar kein Problem, einfach anklicken und schon sitzt man so gut wie im Flieger; und ganz sicher melden sich bald über das interne Messagesystem wie von selbst spendable Geldgeber für eine neue durchgeknallte Geschäftsidee. Leider stellt sich diesbezüglich bald Enttäuschung ein, wenn man erkennen muß, daß sich hinter manch lobpreisender Selbstdarstellung einiger Mitglieder nur Schaumschlägerei verbirgt. Da wird der Nebenjob in der Gastronomie als Managementausbildung umtituliert, der halbsemestrige Studiumsversuch als erfolgreiches Hochschulstudium oder ein Surfurlaub als Auslandsaufenthalt angegeben.

Zu der Enttäuschung gesellt sich sehr bald dann zwangsläufig ein weiteres Phänomen: Wenn man das ganze Netzwerk abgegrast hat, alles gejagt und gesammelt hat, was es hergibt, setzt unerträgliche Sättigung und Langeweile ein. Das verhält sich genau so, wie mit den Weihnachtsgeschenken, die ihren Reiz in dem Moment verlieren, sobald man sie in Händen hält… Und so schaut man dann irgendwann nur noch sporadisch alle paar Wochen in sein virtuelles Sammelkonto und bestätigt gönnerhaft die paar dazugekommenen Neulinge.

Nur ab und zu unternimmt man noch den verzweifelten Versuch, Naomi Campbell per internen Messageservice anzuschreiben, um sich mit ihr baldmöglichst mal in New York zu verabreden. Aber sie meldet sich unverständlicherweise einfach nicht auf die vielen Nachrichten und Connect-Versuche! Dafür meldet sich aber der Moderator des Netzwerkes und teilt einem mit, daß man leider aus der Community dis-connected wurde, weil es laut Teilnahmebedingungen strengstens verboten ist, unbekannte Mitglieder zu belästigen. Schade, dabei war man mit Naomi doch schon so gut wie befreundet…


Prinz Pikkolo, Februar 2006
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