Mai-Kolumne
                                   Die Mai-Kolumne "Besuch auf dem Rummel"

Nun beginnt sie wieder, die Rummelsaison in Berlin. Egal, ob Kreuzberger Maientage, Steglitzer Festwoche, Deutsch-Französisches- oder Deutsch-Amerikanisches Volksfest: Ein Rummelbesuch ist immer eine lustige Sache, da kann man z.B. den Weltrekord im ½ Meter Bratwurst-Zuckerwatte-gebrannte-Mandel-Weintrauben-Apfel-essen brechen. Ehrlich wahr! Aber das ist natürlich noch lange nicht alles, denn auf die Fresse kriegen kann man auch ganz leicht.

Ein Rummelbesuch ist großartig: ausgelassene Menschen schieben sich an bunt blinkenden Buden vorbei, ein zarter Duft von Lebkuchenherzen erfüllt die Luft, Kinder sind von Kopf bis Fuß mit klebrigem Süßigkeitskram vollgeschmaddert, und verliebte Pärchen machen ihre ersten Pettingversuche in der Geisterbahn. Ja, so kennt man das von einer Benjamin Blümchen Kassette oder einem Prospekt des Deutschen Schaustellerbundes.

Die Wirklichkeit sieht natürlich ganz anders aus: Mit beißendem Donuts-Bratfett in der Nase schlängelt man sich durch die Menschenmasse, vorbei an Festzelten, die systematisch von allen Alkoholikern der Stadt belagert werden. Und da natürlich auch fast alle anderen Besucher schwer alkoholisiert sind und deshalb das Aggressionspotential sehr beachtlich ist, muß man immer schön Obacht geben, daß man nicht gleich zu Anfang versehentlich einen dieser Rummel Harley Rocker anrempelt und mit seinen Cowboystiefeln in schmerzhaften Kontakt tritt.

Links Losbuden, wo ein Mann ohne Zähne durch ein Mikro verblichene Plüschtiere und ferngesteuerte Autos aus den 80ern anpreist. Rechts ein Stand, wo man mit drei Bällen Dosen umwerfen muß, was natürlich nie jemand schaffen kann und daher an solchen Buden auch nie irgend jemand ansteht und diese spätestens in zwei Jahren natürlich rummelselektiert werden. Weiter hinten eine Geisterbahn mit sprechenden Figuren, die blechern lachen und sich bewegen und blinken und böse dreingucken, aber vor denen sich nicht mal fünfjährige anthroposophische Mädchen vom Reiterhof fürchten würden. Daneben steht im blitzenden Stroboskoplicht eines dieser neuen virtuosen Hochgeschäfte, die einen mit 100 g in die Luft schießen und dann sieben Loopings machen, um sich dann 300 Mal um die eigene Achse zu drehen, anschließend fünf Minuten in 80 Meter Höhe auf den Kopf gestellt verharren, um dann im freien Fall gen Boden zu ballern. Wenn man Glück hat, ist man nach der Fahrt nur querschnittsgelähmt. Eines ist aber jetzt schon sicher: nächstes Jahr gibt es ein Teil, das einen mit 150 g in die Luft schießt und 20 Loopings macht und ...

Etwas weiter hinten gibt es die größten Betrugsmaschinen seit der Erfindung des Rummels: Die Greifer, diese Metallkrallen, die man mit einem Joystick über häßliche Plüschtiere steuern kann, die - wenn überhaupt - immer im letzten Moment herunterfallen.

Jetzt wird es wirklich gefährlich, denn man nähert sich dem Autoscooter. Das ist per definitionem der Treffpunkt für die ganz harten Rummelkinder. Wie im Video „The Grosser" von Fettes Brot ist das hier der offizielle Balzplatz für Fuchsschwanzträger mit tellergroßen Knutschflecken und goldenen Geldklammern und dauerwelligen Hauptschultussis mit schlangenledernen Stretchminiröcken und Netzstrümpfen. Nirgendwo kann man das puffige Rummelambiente so genießen wie an diesem Ort: laute Musik, bunte Lichter und wenn man will, selbstverständlich auch kräftig eins auf die Fresse. Denn als gewöhnlicher Rummeltourist sollte man sich da vorsehen, schließlich ist das Territorium streng aufgeteilt, da kann nicht jeder einfach herumfahren wie er will, schon gar nicht irgendwelche Mädchen anbumsen, da muß man die informellen Regeln kennen, sonst ...

Einen großen Bogen sollte man auch um diese mysteriösen lebensgroßen Plastikstiere machen, an denen man öffentlich seine Kräfte messen kann. Denn diese Dinger werden prinzipiell von ausländischen Schlägergangs aufgesucht, die dort professionell trainieren und mit voller Wucht mit ihren Fäusten gegen eine Lederplatte dreschen, um den Stier in die Knie zu zwingen. Ganz schnell da vorbei, bevor bei einem von denen die Faust ausrutscht.

Es geht entlang an einer Achterbahn, und man fragt sich insgeheim, ob denn die zwielichtigen Gestalten da im Wohnwagen das Gerüst und die ganzen Schienen auch vorschriftsmäßig zusammengeschraubt haben, ob das da auch hoffentlich alles vom TÜV überprüft wird, ob die auch ordentlich versichert sind? Daneben steht ein in der Rummelhierarchie viel weiter unten angesiedeltes kleines Kinderkarussell, wo ein armer einsamer alter Mann in einem engen Häuschen sitzt und auf kinderreiche Familien wartet, was er natürlich lange kann, bei einem Fahrpreis von 4 EURO.

Genug gesehen von den lustigen Rummelattraktionen. Jetzt aber schnell zu einer großen mit Airbrushmotiven verzierten „Schlemmer-Hütte" oder zu einem „Knusper-Knusper-Knäuschen- Häuschen". Endlich geht's los: in kürzester Zeit soviel kandiertes Zuckerzeug und Popcorn essen wie nur möglich, anschließend einen halben Meter Bratwurscht mit Majo, Senf und Ketchup, Steaks und Maiskolben runterwürgen und zu guter Letzt noch Softeis bis zum Anschlag hinterher. Man ist ja schließlich nicht zum Spaß hier.

Prinz Pikkolo, Mai 2002