Juni-Kolumne
                                              „WM"-Helden Kolumne - Juni 2002

Teil 1: Brot und Spiele

Noch nie wurde in Deutschland schon zur Mittagszeit so viel gejubelt, geschwitzt, gehupt und getrunken wie in den letzten Wochen, und noch nie wurden mit solch überschwenglichem alkoholischen Eifer so viele schwarz rot goldene Fahnen geschwenkt. Nun gut, was soll man auch sonst machen, wenn Fußball WM ist und Deutschland bis ins Finale kommt?

Aber der Weg dahin war doch irgendwie ein bißchen absurd. Während in Südkorea und Japan die besten Mannschaften der Welt um den World Cup kämpften und Favoriten wie Zidane und Figo skandalös und kläglich auf der Strecke verreckten, torkelte ein kritisiertes geprügeltes geschlossenes Kollektiv von grimmigen bierernsten deutschen No-Names von einem Sieg zum nächsten - mitten hinein ins Finale gegen Brasilien!

Wow, was für ein Märchen! Noch in 100 Jahren werden faltige Großväter mit Meerschaumpfeifen in Schaukelstühlen ihren Enkelkindern die unglaubliche Geschichte von dem aufopfernden Helden Ballack, dem köpfenden Salto-Klose und dem großen gefährlichen zähnefletschenden kinderfressenden Monster im deutschen Tor erzählen. Für immer vergessen seien die Zeiten, wo der Torwarttitan Kahn in allen Stadien Deutschlands unter „Uggah Uggah-Rufen" mit Bananen beworfen wurde, vergessen der Unmut auf die unsympathischen arroganten Bayern, in den letzten vier Wochen waren wir alle eine einzige große deutsche Fußballfamilie und konnten endlich einmal ohne Scham unsere Fahnen schwenken. Ganz erstaunlich, wie viele Haushalte heimlich schwarz rot goldene Fahnen besitzen. Ja, durch diesen legitimierten Patriotismus ist es in diesen Tagen sogar zu Produktionsengpässen bezüglich Deutschlandtrikots und -fahnen gekommen. Wer hätte das vor vier Wochen gedacht?

Überall Fußball WM: Asia Menues bei Mc Donald´s, Sonderausgaben von allen Zeitungen, Fußball Hymnen, Casio Watchmen im Angebot, „Dot Wins" rechts oben im Eck, Thema WM in jedem Werbespot, Gewinnspiele und 24 Stunden Berichte im TV. Ganz vorne mit dabei: das Dream-Team Netzer-Delling, das wieder einmal mit herrlicher Haßliebe kompetent die wenigen Spiele analysierte, die im „free TV" übertragen werden durften. Aber auch der klugscheißende Breitner und sein farbloser Gesprächspartner mit Halbglatze, haben jeden Abend trotz der Zeitverschiebung ein bißchen WM-Feeling in die Haushalte gebracht. Und wo man schon mal dabei ist, ein bißchen Lob auszusprechen, sollte man auch nicht Hiddink - den Trainer der Südkoreaner - vergessen, der außerordentlich fair und sympathisch „Schade-Holland-alles-ist-vorbei" vertreten hat.

Ein paar Skandale gab es aber Gott sei Dank auch! Zwar leider keine Blutgrätschen mit offenen
Brüchen und Hubschraubereinsatz, haßerfüllte holländische Spuckorgien wie 1990 oder
abgekartete Endspiele zwischen Nike und Adidas wie 1998. Dafür gab es aber schön viele
verschwörerische Schiedsrichterentscheidungen, Quotenlinienrichter ohne Erfahrung,
gedemütigte Favoriten, schlechte Verlierer und frustrierte Paninibilder-Sammler.


Teil 2:     Es gibt nur einen Ruuuudi Völler !

Herrlich, wie sich bei jedem Spiel auf dem Platz erwachsene Multimillionäre an Trikots gezerrt, mit voller Wucht geschubst oder brutal gefoult haben. Faszinierend, daß dieses Foulverhalten unabhängig von der Nationalität immer nach dem selben Schema ablief:
Variante 1: Einer springt dem anderen absichtlich schön mit seinen Stollen hinten in die Hacken oder boxt im Zweikampf den Ellenbogen in den Magen des anderen, und wenn der Gegner dann vor Schmerzen umfällt, werden reflexartig die Arme in die Luft gerissen, um auf unschuldig zu plädieren.
Variante 2: Einer rennt wie wild auf das Tor zu und merkt, daß er es nicht schaffen kann, woraufhin er sich leidend auf den Boden wirft, schreit, das Gesicht verzerrt und einen Gegenspieler beim Schiedsrichter verpetzt. War die Schwalbe erfolgreich, steht er locker auf, humpelt zweimal und sprintet dann - als wär nix gewesen - wieder zum Ball.
Und so foulen und simulieren alle Spieler von Argentinien bis USA. Zumindest im Fußball scheint die Globalisierung schon erreicht zu sein.

Es gab natürlich noch weitere Highlights bei dieser WM: das schnellste Tor der WM Geschichte (nach 11 Sekunden) von den Türken gegen Südkorea, die Rudi Haudi Saudi Gaudi mit 8:0, ein ganzes Bridgeblatt rote und gelbe Karten im Spiel Deutschland vs. Kamerun, eine brasilianische Memme namens Rivaldo, die sich unwürdig theatralisch zu Boden fallen ließ und natürlich einige Siege von Überraschungsmannschaften wie Senegal und Südkorea. Der größte WM-Skandal - das Endspiel Deutschland vs. Türkei - ist der Stadt Berlin dann aber glücklicherweise doch erspart geblieben. Nicht auszudenken, wie dieses Finale die innere Sicherheit der Stadt in den nächsten vier Jahren gefährdet hätte. Darauf ein dreifaches diplomatisches „Uff".

In den letzten 30 Tagen haben wir viele weise Sachen gehört und viel lernen können: Der gesunde Mann Pele hat in der Kabine beispielsweise nie über Erektionsprobleme gesprochen. Es gibt nur ein´ Rudi Völler! Uwe Seeler hat seine schönste WM als Zuschauer 2006 in der AOL Arena noch vor sich. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel! Der Pfosten ist ein Freund des Torwarts, auf den er sich nicht verlassen kann. Denk erst an die Kabine, wenn Du drin bist. Eine noch so gute Flanke, ist nicht so gut wie ein dummes Tor.

Aber das wohl Wichtigste, was man bei dieser WM lernen konnte, läßt sich mit einer simplen Formel ausdrücken: Glück + Effizienz = Erfolg. Die Deutsche Nationalmannschaft hat zweifelsfrei ein vorbildliches Lehrstück abgeliefert, wie man durch längst vergessen geglaubte deutsche Tugenden und Teamgeist alle Möglichkeiten optimal nutzen kann. Kahn und Co. haben die Menschen weltweit ungeachtet der anfänglichen harten Kritik beeindruckt und sich kontinuierlich Respekt verdient. Nach den vielen Insolvenzmeldungen der letzen Wochen, dem Absturz des DAX, den miserablen Ergebnissen der „Pisa-Studie" und dem grauenvollen Abschneiden beim Grand Prix D´Eurovision ist das immerhin ein Lichtblick in Deutschland.
Danke Rudi, so wird das gemacht!

Prinz Pikkolo, 30. Juni 2002