Juli-Kolumne
                                              Urlaubs-Kolumne - Juli 2002

Der „RTL 2-Reportagenurlauber"

Es ist Sommer, und daher passiert in diesen Tagen nicht viel in Deutschland. Die Menschen sind träge, Politiker reisen mit ihren Spaßmobilen durchs Land oder treten aus purer Langeweile wegen Bonusmeilen zurück, in den Zeitungen klaffen riesige Löcher und im Fernsehen läuft Null-Komma-gar-nix Neues! Das einzige Highlight ist der „Like ice in the sunshine"-Langnese-Porno-Werbespot, in dem nackte junge Menschen an einem paradiesischen Strand im Kreis herum tanzen, sich lasziv die Lippen lecken und uns allen weismachen wollen, daß es ganz selbstverständlich sei, Sex mit einem „Flutschfinger" zu haben oder sich gegenseitig „Solero smoover"-Katheter zu legen!

Aber da es natürlich selbst in den frivolsten Ecken Ibizas nicht so zugeht, wie in dem Langnese Werbefilm, soll an dieser Stelle darüber berichtet werden, wie der Gemeine Deutsche - also sozusagen ein „RTL 2-Reportagenurlauber" - seine Sommerferien verbringt.

Am liebsten verreist der junge Tourist mit einer großen Gruppe, die er oftmals auch ganz gerne seine „Clique" nennt. Mit Muskelshirt, Palmen Bermudashorts und Strohhut bekleidet steigt er gutgelaunt in den gecharterten Flieger, um dann lautstark gröhlend und pöbelnd bei den Stewardessen Dosenbier und literweise Tomatensaft zu bestellen. Nach der Landung, honoriert durch ordentliches Beifall-Klatschen, wird die sternhageldichte schwitzende Meute mit einem Bus zum Urlaubsort gekarrt, wo dann endlich der pauschale 14tägige Cluburlaub beginnen kann!

Käsebleich wird sich sofort an den Pool gelegt, um die 24stündige „Schinderassa Bumm"-Animation zu genießen. Dazu ab und zu ein kleines „Happy-Hour-Bierchen", denn das hat man sich im Urlaub ja nun auch wirklich verdient. Alle 15 Minuten wird ein ganz lustiger Clubtanz mit witzigen Körperverrenkungen zum Besten gegeben, ansonsten dröhnen aus allen Anlagen parallel verschiedene Gute-Laune-Songs.

Lustig verkleidete Animateure suchen krampfhaft Teilnehmer für ihre sadistischen Poolspiele. Keine Chance, zu entkommen! Wer sich weigert, wird unter großem Gejubel mit Gewichten an den Füßen in den Pool geworfen. Die Stimmung ist prächtig, denn der Verlierer des Spiels muß zur Strafe seine Badehose ausziehen, dreimal nackt durch die Anlage rennen und anschließend eine „Palme poppen". Warum auch nicht, es ist ja schließlich Urlaub!

Mittlerweile wird das Frischfleisch krebsrot, weil keiner auch nur im Traum hätte ahnen können, daß die Sonne hier so intensiv ist. Auf der Haut bilden sich häßliche Pusteln, die morgen schmerzend und blubbernd aufplatzen werden.

Nun gehen die Animateure auf die Jagd, um sich für diese Woche ein neues Mädchen zu suchen, der sie hoch und heilig versprechen, daß sie die Schönste und wirklich was ganz Besonderes, ja vielleicht sogar die ganz große Liebe sei. Daß es ihnen nur um die begehrte clubinterne Trophäe - die sogenannte „goldene Banane" - für den meisten Geschlechtsverkehr mit Urlauberinnen geht, verschweigen sie lieber. Und so verlieben sich kleine Mädchen in H&M-Bikinis unsterblich in den Surflehrer Pedro oder den Barkeeper Giorgio und werden das ganze Jahr lang sparen, um ihren Schwarm im nächsten Sommer wieder zu sehen, um ihn dann zu heiraten und für immer glücklich zu werden.

Der Club ist voll mit Urlaubscliquen, die extra aus Dorf X, 40 km bei Kleinstadt Y angereist sind, und alle sind ganz relaxed und lustig drauf, so daß man innerhalb von wenigen Minuten 100 neue „beste Freunde" hat, mit denen man Adressen austauscht und sich unbedingt nach dem Urlaub mal wiedersehen will. Ganz sicher, versprochen, Ehrenwort!

Jetzt wird es aber Zeit für eine kleine Keilerei, und deshalb zieht man sich ein Deutschlandtrikot an und fährt in ein Holländerviertel, um dort mit überschlagender Stimme die Nationalhymne und „Football is coming home" zu singen. Oder man belegt in den englischen 5000 Bettenburgen einfach 100 Liegen mit seinen Handtüchern. Egal, Hauptsache, es gibt ordentlich Dresche, denn im Urlaub gehört das einfach mit dazu!

Nun steht eine Piratenfahrt auf dem Pflichtprogramm. In praller Mittagssonne werden mehrere Eimer Sangria durch Strohhalme eingesaugt und kurz darauf durch die Nasenlöcher wieder ausgeschieden. Dann klettern alle auf eine 20 Meter hohe Klippe und springen mit einem Seemannsköpper in das Wasser, ohne zu wissen, wie tief es eigentlich an der Stelle ist. Anschließend wird auf einer Schaumparty geschunkelt oder mit Jürgen Drews eine Polonaise gemacht. Danach wird „Mr. Macho" oder „Miss Tanga" der Clubanlage gewählt.

Sportliche Aktivitäten dürfen natürlich auch nicht zu kurz kommen. Da gibt es z.B. den „Promille Cup", ein lustiges Tennisturnier nach dem Konsum von einigen Litern Wodka Red Bull in praller Mittagshitze. Oder man brettert mit röhrenden Jet Skis an naturbelassenen Stränden vorbei oder geht Tiefseetauchen und nimmt sich kiloweise unter Naturschutz stehende Korallen als Souvenir mit. Man kann natürlich auch Boogey Board, Bananaboat oder Wasserski fahren, paragliden, klettern, surfen, Bungee springen, Beachvolleyball spielen; am besten natürlich alles an einem einzigen Tag und mit einem ordentlichen Schwips.

Des nächtens wird dann kollektiv über die Promenade getorkelt, auf der Suche nach einer riesigen klimatisieren Großraumdisco. Alle paar Meter übersäen einen irgendwelche Urlaubsdrückerkolonnen mit vielfarbigen Flyern und unterbreiten dazu sehr großzügige Angebote: Eintritt for free, 2 T-Shirts gratis dazu, 1 Begrüßungscocktail und eine 100%ige „Bumsgarantie" als Special noch obendrauf. Na, wenn das nichts ist!

Morgen und in den nächsten Tagen wird dieses Programm immer wieder von vorne abgespult. Erholen kann man sich schließlich auch zu Hause - auf Arbeit.


Prinz Pikkolo, Juli 2002