Kolumne Dezember

                                       
Fitneß-Fieber und Wellness-Wahn

Draußen herrscht klirrende Kälte, Leib und Seele sind geschunden, gestreßt und gezeichnet durch die Strapazen des letzten Jahres, und auch das Gourmet-Bäuchlein hat über die Weihnachtstage noch einige kulinarische Termine vor sich. Was also könnte man derzeit besseres tun, als es sich in einem der vielen Fitneß- und Wellnesstempel der Stadt endlich mal wieder so richtig gut gehen zu lassen? Also: Runter mit der Sporttasche vom obersten Regalbrett, Trainingshose (was ist das?), Handtuch, Badelatschen und Sportschuhe reingepackt, und schon kann´s losgehen!

Am Empfang des Fitneß-/Wellness-Clubs wird man überschwenglich von einer Armada von sportlich gestylten Aerobicmäusen begrüßt. „Tachchen und Hallöchen", ruft man dann mit krampfhaft eingezogener Plautze in die Runde und verschwindet schnell in der geräumigen Umkleidekabine. Dort ist reger Betrieb, denn lauter krebsrotgebrutzelte Nackte aus dem Dusch- und Saunabereich schlurfen erschöpft durch die Gänge. Bis zum Wellness dauert es aber noch ein Weilchen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen! Und so geht's geradewegs (mit herausgestreckter Brust) in die Fitneßetage.

In der „Pumper-Ecke" stehen überall riesige streng müffelnde Muskelmenschen neben glitzernden Chromgeräten und betrachten sich selbstverliebt in der Spiegelwand. Und da ein lockeres Aufwärmtraining nur was für Weicheier ist, geht man schnurstracks zum Bankdrücken, wo man gleich ordentlich große schwarze Kiloscheiben auf die Langhantelstange raufpackt. Die anderen sollen ja schließlich nicht denken, man sei eine schwache Wurst. Hau ruck! Und schön beim Stemmen immer die Luft anhalten! Hau ruck! Anschließend geht´s zum Butterfly und Latzug, wo man mit Hohlkreuz die Gewichte drückt, reißt und zieht. Soviel Kilos und Unzen wie möglich, denn mehr Muskeln müssen heute her! Zwischendurch humpelt man zur Theke, um sich einen süßen isotonischen Mango-Erdbeer-Vanille-Drink zu besorgen.

Während man den mineralhaltigen Neonfusel schlürft, schaut man natürlich ganz unauffällig in den Aerobicraum hinein. Wow! Man verschluckt sich fast, denn was da für Models in Hotpants zu lauter Musik herumhüpfen ist ja nicht zu fassen! „Step left and right und noch drei und yes and no und step and GO!" Besser als ein MTV Video, denkt man bei sich und drückt sabbernd die Nase an der Glasscheibe platt. Man fragt sich kurz, warum da eigentlich nur 40 kg leichte Top-Models von einem zarten Beinchen aufs nächste hüpfen, die doch solche Torturen gar nicht nötig hätten, während all die Dicken höchstens beim Aqua-Aerobic einen monströsen Wasserstrudel erzeugen?

Danach quält man sich an diversen Beinpressen, Bi- und Trizeps-Türmen und anderen Flaschenzug-Foltergeräten, bis die Muskeln vor lauter Übersäuerung zu zittern beginnen. Nach dem Workout ist aber natürlich noch lange nicht Schluß! Dem Krafttraining muß ja noch eine ordentliche Einheit Ausdauertraining folgen! Also hüpft man zuerst auf den Stepper, um bei einem Puls von 200 eine imaginäre Treppe hinaufzulaufen. Währenddessen zappt man durch sämtliche TV-Programme, die auf den 20 im Halbkreis an der Decke angebrachten Monitoren laufen. Anschließend geht es an die Rudermaschine und auf das Laufband, denn schließlich möchte man das Studio ja heute mit einem Six-Pack verlassen!

Und weil einem mittlerweile langweilig wird, da man ja bisher nur alleine trainiert hat, beschließt man ganz spontan, an einem Indoor-Cycling-Spinning-Kurs teilzunehmen. Da wird dann in der Gruppe auf komischen Cardio-Fahrrädern sitzend und stehend gestrampelt, was die Lunge hergibt. Nach wenigen Minuten ist der Puls auf 300, und man wäre eigentlich schon längst ohnmächtig zusammengebrochen, wenn einen nicht der Anblick einer gestylten Pornodarstellerin in der vorderen Reihe so unendlich motivieren würde: enges verschwitztes Top und herausfordernd herausgestrecktes Hinterteil, gehüllt in eine durchsichtige Radlerhose mit darüber gezogenem rosafarbenem G-String. Adrenalin wird ausgeschüttet, der Puls pocht bis in den Hals, die Augen treten vor lauter anaerober Herzfrequenz aus den Höhlen hervor. Das T-Shirt klebt pitsche-patsche naß am Körper, und durch den Zug der Klimaanlage wird man mit Sicherheit Weihnachten und Silvester mit einer soliden Lungenentzündung im Bett verbringen müssen. Aber egal, man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen hier! Noch nicht.

Erst muß noch ein lockeres Höhentraining absolviert werden. Dafür geht es in eine kleine Kammer, der systematisch der Sauerstoff entzogen wird. Bei simulierter Luft, so dünn wie auf dem Mount Everest, trainiert man dann noch auf einem futuristischen Langlaufgerät. Das soll x-mal so effektiv sein, wie ein Training bei Luft mit normalem Sauerstoffgehalt. Der studierte und hochqualifizierte Personaltrainer wird es ja wissen müssen, ist man vollkommen überzeugt, während die Gesichtsfarbe nach grün wechselt und die Adern aus der Haut quellen.

Als Letztes steht Auslaufen und leichtes Stretching auf dem individuell zusammengestellten Fitneßprogramm. Aber da das genauso was für Weicheier ist, wie die anfängliche Aufwärmphase, überspringt man diese Trainingseinheit ganz einfach.

Nach diesem soliden Workout kann man nun endlich ruhigen Gewissens in den Wellnessbereich krabbeln. Vorher guckt man sich aber noch nackt im Spiegel der Umkleide an. Herrlich, wie aufgepumpt der Körper ist. Doch etwas enttäuscht ist man schon, denn aus dem Gourmet-Bäuchlein ist heute - bei aller Disziplin - leider kein Six-Pack geworden.

Teil 2 folgt in wenigen Tagen

Prinz Pikkolo, Dezember 2002.