Kolumnen 2004
                                                                 Ski-Urlaub

Es ist Skisaison, und wer die Zeit und Muse dazu hat, tummelt sich derzeit irgendwo auf irgendwelchen schneeweißen Pisten und frönt dem herrlichen Wintersport. Im Idealfall steigt der Skifahrer in einem 5 Sterne Luxus Hotel ab, das fernab des touristischen Trubels direkt auf der Piste gelegen ist, so daß man sich vor der güldenen Hoteltür nur die Bretter unter die Füße zu schnallen braucht und sofort loslegen kann - mit der Natur verschmolzen - unberührte Tiefschneehänge herunterzuwedeln. Abends fährt er mit einem Pferdeschlitten und wärmt sich anschließend an einem Kamin.

Die Realität des gemeinen Skiurlaubers sieht jedoch etwas anders aus: Auf einem matschigen, grauen Parkplatz, wo auch 100.000 andere Skifahrer aus aller Herren Ländern parken, steht man stundenlang in einer ewiglangen Menschenschlange an, um dann wie ein zum Tode verurteiltes Vogelgrippehuhn in einem Käfig zusammengequetscht mit Unmengen von in Skioveralls gezwängten Menschen in einer Gondel eine Ewigkeit einen Berg hoch gezurrt zu werden.

Oben angelangt, kommt die erste große Enttäuschung: Es hat offenbar seit Wochen schon nicht mehr geschneit, denn alle Abfahrten sind voll mit wässrigem Beinbrecher-Schnee. Immerhin gibt es aber die großen hübschen metallenen Schneekanonen, die Rund um die Uhr aus vollen Rohren böllern, so daß man bei diesem Energie- und Wasserverbrauch mit Sicherheit auch im Sommer Skifahren könnte.

Dann endlich kann es losgehen, und so macht man als konservativer Skifahrer ein paar gekonnte Schwünge, daß der nasse Schnee nach links und rechts spritzt und wird währenddessen alle paar Höhenmeter rotzig von ein paar „Hip Hop Hurra Snowboarder-Girlies" mit Baggypants als spießiger Skifahrer beschimpft. Als jemand, der das Oldschool-Wedeln mit geschlossenen Beinen von der Pike auf gelernt hat, amüsiert man sich jedoch überlegen über all die Snowboard-Anfänger, die dreimal um die eigene Achse verdreht und kopfüber im Schnee stecken. Während man so beschwingt die Piste herunterwedelt, trudeln neben einem Witzbolde mit Bigfoots die Piste hinab, Carvingfreaks legen sich gekonnt in die Kurven, und zweijährige kleine Kamikaze-Kinder mit bunten Helmen schießen steile Pisten in einer undefinierbaren Pflug-Schuß-Stellung herunter oder fahren immerfort im Skikindergarten um lustige aufgeblasene Dinosaurier oder Micky Mäuse herum.

Huch, das war´s schon: Unten angekommen, stellt man sich am Lift in eine lange Schlange, und während man höchst amüsiert beobachtet, wie sich eine Gruppe Anfänger am Ankerliftfahren versucht (einer reißt immer wieder alle nachkommenden aus der Bahn), denkt man kurz über die Philosophie des Skifahrens nach. Es erinnert irgendwie an den armen Sisyphos, denn alles besteht hier darin, kaum oben am Berg angekommen, innerhalb von Sekunden wieder herunterzurasen, um dann mindestens 20 Minuten am Lift anzustehen, um dieses Ritual zu wiederholen.

Just in diesem Moment hört man einen nahenden Hubschrauber, aber man weiß nicht so genau, ob sich gerade jemand den Hals gebrochen hat bzw. von einer Pistenraupe zermalmt wurde oder ob eine Gruppe von Redbull trinkenden Freaks zum Helikopterskiing geflogen wird. Egal! Man hat gerade ein ganz anderes Problem: Durch die körperliche Anstrengung ist die eigene Skibrille so beschlagen, daß man gar nichts mehr sehen kann, und so übersieht man eine ungeheuerliche Eisplatte mitten auf der Piste. Man stürzt, purzelt, überschlägt sich, fällt auf den Kopf, und mit einem Mal nimmt man die weiße Winterlandschaft nur noch orangefarben wahr. Aber das legt sich in ein paar Stunden bestimmt wieder, schließlich ist der Schutzengel der beste Freund des Skifahrers, genau wie beim Betrunkenen, aber das scheint im Skiurlaub ohnehin oft zu korrelieren. Gerade fliegt nämlich ein sternhageldichter Holländer (mit einer lustigen bunten Harlekin Bommelmütze auf dem Kopf) an einem vorbei und entkommt nur knapp einem tödlichen Totalcrash mit einer hochschwangeren Skifahrerin.

Plötzlich bekommt man Lust, ein bißchen Tiefschnee zu fahren. Also biegt man auf eine Skiroute ab, um dann fernab aller Pisten die Freude des Tiefschnees zu genießen. Und so fegt man mit Genuß durch unberührte Natur, durch Waldschutzgebiete, über Brutstätten von kleinem Getier im Unterholz und tritt ab und zu mal hier und dort ein paar klitzekleine Schneebretter los, die sich durch positive Rückkopplungen bis zu riesigen Lawinen aufbäumen und ganze Dorfgemeinschaften unten im Tal auslöschen werden. Egal, schließlich hat man Unmengen von Geld für Skipaß und Kurtaxe bezahlt.

Hunger! Es wird Zeit für einen Einkehrschwung in eine urige Hütte, wo ein alter Almödi mit weißem Bart Gulaschsuppe ausschenkt und Heidi Germknödel mit Mohn in Vanillesauce zubereitet. Hmm, das schmeckt. Unangenehm wird es erst, wenn man versucht, mit Skischuhen eine steile Steintreppe zum WC hinunter- und wieder hinaufzusteigen.

Nach dieser Stärkung steigt man in einen 6er Sessellift. Neben einem sitzen recht lustige zugedröhnte einheimische Snowboarder, die auf die glorreiche Idee kommen, zu wetten, ob sie es schaffen, so doll mit dem Lift zu schaukeln, daß das Ding aus der Verankerung hüpft.

Wie aus heiterem Himmel verspürt man just in diesem Moment die unbändige Lust, die mysteriöse Spezies der langweiligen Langläufer zu ärgern. Und so kreuzt man deren Loipen mit kleinen aggressiven Schwüngen.....

Teil 2
Langsam ist man durch die ganze frische Luft und all die Anstrengung sehr erschöpft. Aber ein echter Skifahrer fährt niemals mit der Gondel in das Tal! Eine rasante Talfahrt per Ski ist Ehrensache! Und obwohl die Abfahrt schon seit Wochen gesperrt ist, macht man sich auf den Weg. Ein bißchen mulmig wird einem erst, als man sieht, daß all die orangefarbenen Fangnetze vor den tiefen Schluchten schon längst abgebaut worden sind.

Unten angekommen, geht es schnurstracks zum Après Ski, denn man einen ordentlichen Durscht! Man schwenkt zum Hüttenzauber in eins der urigen Häuschen namens „Hasenstall", „zur Tenne" oder „Filou". Diese Skidorfdiskotheken erinnern einen irgendwie an das „Pupasch" bzw. an die Schlagersektion der Franchise Diskothek „Fun". Sei es drum: Es geht sofort an die Bar, um ein Tablett voll Vodka Feige und ein paar Jagertee zu bestellen.

Auf den Barhockern neben einem sitzt ein braungebrannter Skilehrer, der mit ein paar Skihäschen eines Kegelclubs schäkert. Die eine Wurstwarenfachverkäuferin wird diese Nacht bei ihm verbringen, soviel ist klar! Betrunkene Münchner im Einheitslook mit lustigen Sprüchen auf ihren Jacken (z.B. „lieber Schamlippen küssen als Schlamm schippen müssen") tanzen eine Polonaise auf den Tischen und singen mit all den anderen aus voller Kehle die Party Hits von den Dschungelkönigen Costa Cordalis („Junglebeat!") und Wendehals („Jetzt geht es los, mit ganz großen Schritten!") oder „Hey Baby" von DJ Ötzi. Man schunkelt, ruft ab und zu ein fröhliches „Ski Heil!" in die Runde, liegt sich mit verschwitzten Fremden glücklich in den Armen, befummelt irgendjemanden unter dem Tisch, und mancher pinkelt dem anderen nur so zum Spaß in das Bierglas. Ach, was ist das für eine riesige Gaudi!

Danach torkelt man ins Hotel und sackt kurz auf dem Bett zusammen, weil man als Großstädter so viel frische Bergluft und so viel Jagertee einfach nicht gewohnt ist. An Ruhe ist aber noch lange nicht zu denken, denn man ist noch zu einem zünftigen Rodelabend bei Flutlicht verabredet. Gemeinsam mit einer lustigen Rainbow-Reise-Truppe geht's nun also per Gondel zum Rodelverleih an der Mittelstation. Holzrodel will man aber nicht haben, lieber nimmt man einen riesigen LKW Gummireifen oder ein Schlauchboot. Dort legt man sich dann hinein und schießt kopfüber - ohne die Möglichkeit zu lenken oder gar zu bremsen - die vereiste Piste herunter. Immer wenn sich das Gefährt überschlägt oder gegen eine Tanne knallt, ertönt ein lautes Gejohle und Gegröle von den Zuschauern.

Als man mit Beulen, Schlüsselbeinprellung und einer beidseitigen Sprunggelenksdistorsion in das Hotelzimmer zurückhumpelt, wundert man sich, warum hier alles so penetrant nach Chips, Kräckern und salzigem Popcorn stinkt! Nach einigem Schnuppern ist es klar: Man hat vergessen die seit Tagen benutzten Skisocken zum Lüften auf den Balkon zu hängen!

Prinz Pikkolo, Februar 2004