Kolumnen 2003
                                        Echte Engel   -   eine Weihnachtsgeschichte

Eine wahre Weihnachtsgeschichte von einem Akademiker, der eine Autopanne hat, einem gelben ADAC Engel, einer betrügerischen Werkstatt und einer himmlischen Nachricht...

Dezember, die klirrendste Kälte seit hundert Jahren, die Windschutzscheibe ist beschlagen und der Rückspiegel vereist. Das Radio spielt poppige Weihnachtslieder. Ich pfeife, und die Töne entfleuchen dampfend aus meiner Schnute.

Rush-hour auf einer dreispurigen Hauptverkehrsstraße, alle wollen nach Hause, ins Warme, ganz schnell in eine heiße Badewanne mit Fichtennadelöl. „Last christmas" dampft es gut gelaunt aus meinem Mund. Plötzlich blinkt die Kühleranzeige in meinem Armaturenbrett wie so eine bunte Lichterkette an den Fenstern in den Hochhauswohnsiedlungen. 95 Grad! Aus der Motorhaube steigt weißer Dampft empor. 100 Grad! Die Scheibe beschlägt, ich kann nichts mehr sehen: Warnblinker an und blind auf den Bürgersteig geschwenkt. Ich steige aus, friere erbärmlich, die Hornhaut meiner Fingerkuppen bleibt kurz am eisigen Rückspiegel kleben. Unter der Motorhaube brodelt und pfeift der Behälter mit der Kühlflüssigkeit wie ein Hexenkessel. Gleich muß das Teil explodieren. Ich kenne mich nicht mit Kühlern und solchen Innereien aus. Sorry, ich bin Akademiker. Es zischt und siedet und hört einfach nicht auf!

Aus heiterem Himmel plötzlich die Erleuchtung: Mit klammen Fingern hole ich eine kleine gelbe Karte aus dem Portemonnaie. Seit Jahren ADAC Plus Mitglied, und nun ist es endlich soweit: Ich wähle 0180 2222222 - besetzt. Immer wieder, ganz Deutschland muß an diesem Tag eine Panne haben. Endlich komme ich durch. Eine nette Dame mit erotischer Stimme versichert mir, daß mir gleich zu Hilfe geeilt wird. Also warte ich, hüpfe von einem Bein auf das andere, hole mir systematisch eine Lungenentzündung und ärgere mich, daß die Daunenjacke bei Minus 13 Grad mit Mottenpapier im Schrank hängt. Ewige eisige 90 Minuten.

Dann kommt er mit einem Mal aus dem Nichts: Der gelbe Engel. Es gibt sie also doch!
Professionell schwirrt er um mein Auto, diagnostiziert und lädt meine Karre schließlich auf seinen großen Abschleppwagen. Anschließend geht's flugs zu der nächsten Vertragswerkstatt. Abgeladen und schon ist der gelbe Engel verschwunden. Er hat noch einige Einsätze heute. Schade, ich hätte doch noch so gerne Danke gesagt!

Der Kfz-Meister in der auf Hochglanz polierten Vertragswerkstatt schaut mich mitleidig an und redet sanft auf mich ein. Nein, bei meinem alten Auto könne man leider wirklich nichts mehr machen. Der Kühler sei vollkommen eingefroren und kaputt, kaputter ginge es nicht. Da sei nichts mehr zu reparieren. Ehrlich wahr. Und außerdem müsse man mit einem ordentlichen Motorschaden rechnen, denn alles deute auf eine kaputte Zylinderkopfdichtung hin, und das könne ordentlich teuer werden, mindestens 1500 EURO. Aber das würde sich ja nun wirklich nicht mehr lohnen, bei dem alten Ding. Das Auto könne ich so gut wie wegschmeißen, am besten in Zahlung geben und gleich hier und heute ein neues kaufen!

So ein Schrecken auf nüchternen Magen! Also würge ich mir erst einmal bei McDonald´s um die Ecke einen Festtagsputen-Burger herunter und beschließe schließlich seufzend, mein Auto für so viel Geld lieber doch nicht mehr reparieren zu lassen. Vielleicht findet sich ja noch irgendwo ein Bastler aus dem Umland für das gute Stück. Kleine farbige Zettel mit dem Text „Ich kaufe ihr Auto - jetzt und später. Zahle bar!" habe ich schließlich zu Tausenden in diesem Jahr unter dem Scheibenwischer stecken gehabt.

Schweren Herzens muß ich also mein geliebtes altes Auto zum Schafott schleppen lassen. Es geht quer durch die Stadt, vorbei an vielen bekannten Orten. Ich werde sentimental, weil ich daran denken muß, wie oft mich mein Auto schon sicher nach Hause gebracht hat, welche Reisen wir beide unternommen haben, welche Lieder wir gemeinsam gehört haben, wie viele Mädchen wir auf der Rückbank geküßt haben, wie romantisch wir auf der B1 dem Sonnenuntergang entgegenfuhren.

Und während mein automobiles Leben vor meinem inneren Auge Revue passiert, kommen wir an einer unscheinbaren kleinen Werkstatt vorbei, wo ein Mechaniker im ölverschmierten Blaumann an einem rostigen Moped herumschraubt. Und da es nichts mehr zu verlieren gibt, halten wir dort an. Als ich den Mechaniker verzweifelt darum bitte, meinem Auto den Todesstoß zu versetzen, guckt er mich etwas verwirrt an. Er öffnet virtuos die Motorhaube, fummelt mit seinen schmutzigen Pranken irgendwo da drin herum, rümpft die Nase und schüttelt den Kopf. Er verschwindet wortlos in einer kleinen Baracke und kommt kurz darauf mit einer Handvoll Utensilien wieder.

Ein paar bange Minuten später sagt er vollkommen emotionslos zu mir: „So, mein Herr. Alles wieder O.K.. Das macht dann 10 EURO für die Kühlflüssigkeit plus Frostschutzmittel und 5 EURO für den Plastikschlauch, der sich vom Kühler gelöst hat. Insgesamt also 15 EURO. Na dann, gute Fahrt und schöne Weihnachten!"

Prinz Pikkolo, Dezember 2002 und 2003