Kolumnen 2003
                                                     Urlaub zu Hause - Am Wannsee

Es ist Sommer - und wie: Die größte Hitzewelle seit Jahrzehnten schwappt plättend über Europa. Und weil sich dank methanfurzender Fastfood-Kühe sämtliche Klimazonen weltweit zu verschieben scheinen, herrscht nun seit diesem Jahr selbst in Deutschland mediterranes Schweißtreiben.

Es gibt also gar keinen Grund, für viel Geld weit wegzuverreisen, wenn doch genau vor der Haustür die Sonne mit über 40 Grad brutzelt. Zumal Schröders Absage seiner Italienreise das patriotische deutsche Urlauberherz gestärkt hat und man sich nicht einmal mehr zu schämen braucht, wenn man dieses Jahr nicht zu den Seychellen, nach Hawaii oder nach Ipanema jettet. Und wie singt Elmar Brand so schön in seinem neuen Kanzlersong: „Zu Hause ist das schönste Urlaubsland!"

Ja, Deutschland hat schon ein paar herrliche Urlaubseckchen wie z.B. Gevatter Rhein samt Loreley, Chiem-, Nord- oder Ostsee. Das dollste aber ist ja, daß man als Berliner nicht einmal seine Stadt zu verlassen braucht, um sich herrlich zu erholen.

Und was bietet sich in diesen heißen Tagen besseres an, als einen Urlaubstag an Berlins Copacabana zu verbringen? Also dann mal schnell die Badehose eingepackt, das kleine Schwesterlein genommen und dann nischt wie raus zum Wannsee!

Gut gelaunt rast man mit dem Auto - den Berliner Sommerhit „Görli Görli" pfeifend - die B1 in Richtung Strandbad Wannsee. Doch schon nach wenigen Minuten wird die gute Laune jäh unterbrochen: Polizeikontrolle, rechts ranfahren und schön 30 Euro Strafe zahlen, weil man mit Flip-Flop-Sandalen Auto gefahren ist und sich daher „grob fahrlässig" verhalten hat.

Egal, dadurch läßt man sich den Badetag nicht vermiesen, man hat ja schließlich Urlaub! Am Strandbad angekommen, muß man nur noch einen Parkplatz finden. Dies zieht sich eine Ewigkeit hin, denn die ganze Stadt scheint sich heute hier erfrischen zu wollen. Nach 45 Minuten hat man dann endlich genau vor einer Feuerwehreinfahrt einen Parkplatz gefunden, und man weiß schon jetzt, daß das heute ein sehr sehr teurer Ausflug wird.

Nachdem man stattliche 4 Euro Eintritt abgedrückt hat, schlendert man schwitzend den Strandbadweg entlang und genießt die herrliche Aussicht auf den Wannsee, wo Segelboote und Ausflugsdampfer schippern. Auf dem riesigen Schachbrett nahe des Eingangs setzen sich zwei sonnengegerbte Alkoholiker schachmatt.

Als aller Erstes mietet man sich natürlich ganz zünftig für ca. 8 Euro plus Pfand einen Strandkorb. Dafür bekommt man eine schimmlige Fahne, mit der man dann den Korb als gemietet markieren kann. Nun macht man sich vollbepackt mit Luftmatratze und Badetasche im heißen Sand auf die Suche nach dem Strandkorb. Als man ihn endlich gefunden hat, steht man vor einem Problem: Der Strandkorb ist von dem Oberanführer einer zehnköpfigen Schlägerbande aus Neukölln besetzt. Als man dem mit einer dicken Goldkette behängten Typen freundlich zu verstehen gibt, daß dies wohl der Korb zu sein scheint, den man eben selbst gemietet hat, erhebt sich der Kollos, nimmt einem ruppig die Fahne aus der Hand, schaut einen grimmig an und fragt, ob man ein Problem habe und hier Streß machen wolle, und falls ja, dann könne man Unstimmigkeiten gerne da hinten bei den Mülltonnen austragen.

„Och nö, sorry. War nur ein Mißverständnis, schönen Tag noch", murmelt man vor sich hin und verschwindet. Also sucht man sich ein freies Plätzchen im Sand, das man nahe des FKK-Zauns dann auch findet. Über diesen Platz freut man sich besonders, denn von hier aus kann man mit Sicherheit herrliche Fotos von Nackten mit dem MMS-Handy machen und diese dann gleich am Abend ins Internet stellen.

Man breitet sorgfältig das Badetuch aus, um sich dann dort fein säuberlich niederzulassen. Doch gerade als man es sich auf dem Tuch bequem machen will, rennen vier kleine ungezogene Bengel so nah an einem vorbei, daß alles wieder voller Sand ist.

Jetzt würde man sich gerne bis auf die Badeshorts ausziehen, aber man geniert sich. Vielleicht hätte man in den letzten Monaten doch nicht so viel „Ben & Jerry´s Ice Cream" verspeisen, sondern lieber öfter in einem der vielen Fitneß- und Wellness-Studios der Stadt trainieren sollen (vgl. dazu Kolumnen Dezember 2002 und Januar 2003). Aber egal, es ist zu heiß für solche Eitelkeiten....

Gerade als man sich genüßlich die Sonne auf den Pelz brennen lassen will, macht es sich ein junger Mann - gehüllt in einen regenbogenfarbenen String-Tanga - genau vor einem bequem und streckt und rekelt sich lasziv mit gespreizten Beinen im Sand. Kurz darauf stößt ein weiterer junger Mann dazu, woraufhin zwischen beiden eine fruchtbare Diskussion beginnt: Ob man denn öfter herkäme, ob man sich denn mal treffen könne, und schnell wird einem klar, daß das hier die Kontaktecke für Strandbadbesucher des anderen Ufers ist.

Und so packt man seine Badesachen wieder ein, um sich ein anderes Plätzchen zu suchen. Vorher schlendert man aber noch einmal in voller Montur durch den FKK-Bereich, um ein wenig die Anhänger der Freikörperkultur zu betrachten. Hierbei läßt sich unweigerlich die These bestätigen, daß die meisten Nacktbadenden aus der ehemaligen DDR stammen. Kein Wunder, schließlich wurde dort der Freikörperkult 40 Jahre lang systematisch proklamiert. Dieses Phänomen wird auch immer wieder gern von diversen RTL2-Reportagen aufgearbeitet, in denen die nackten Ossis über die prüden Wessis (und umgekehrt) schimpfen. Vor diesem Hintergrund scheint der Zaun, der die FKK-Anhänger von den übrigen Badegästen trennt, ein letztes Relikt der geteilten Stadt Berlin zu sein.

Nun möchte man sich aber endlich mal erholen, was sich am Strand jedoch aus vielerlei Gründen als äußerst schwierig herausstellt: Zu den Strandklassikern gehören ohne Frage das Eincremen mit Sonnenmilch, die sich einfach nicht verreiben lassen will und sich sofort magisch mit Sand am Körper vermischt; oder das schier unmögliche Eindrehen eines Sonnenschirmes in wabbeligen Sand; oder die Durchsagen im Minutentakt über Mikrofon und Lautsprecher: „Der kleine Nackedei X sucht seine Mami. Bitte abholen beim Bademeister."; oder das umständliche Umziehen einer nassen Badehose, ohne dabei die primären Geschlechtsmerkmale den anderen Gästen zu präsentieren. Das Schöne an einem Tag am Strand ist darüber hinaus auch seine Langzeitwirkung. Oft kann man noch zur Weihnachtzeit in der Kleidung und in manchen Körperöffnungen feine Sandkrümel dieses Ausflugs finden.

Just in diesem Moment wird man Augenzeuge, wie eine Gruppe junger testosterondurchfluteter Türken wild um ein paar fast nackte Schulmädchen aus dem Wedding balzen. Ein Naturschauspiel, wie die Männchen mit lautem Gebrüll und aufgeplusterter Hühnerbrust den Weibchen zu imponieren versuchen. Innerhalb weniger Minuten sind sich beide Parteien einig und verabreden sich für heute abend am Autoscooter beim Deutsch Amerikanischen Volksfest!

Ein Strandtag macht hungrig und durstig, weshalb man nun über die legendäre Promenade des Strandbads schlendert, auf der sich Menschen jeder Couleur entlangschieben: Badegäste, die statt einer Badehose Feinrippslips mit Eingriff tragen und die so tief hängen, daß die halbe Poritze sichtbar ist, aufgepumpte Bodybuilder mit dicken Armen und ganz dünnen Beinchen, braungebrutzelte Mädchen mit Tribal-Tätowierungen über dem Steißbein und diversen Piercings, Mütter mit sechs Kindern von vier verschiedenen Vätern sowie Männer, die schon in verschiedenen Vormittagstalkshows zu Themen wie „Ich bin arbeitslos und hab Spaß dabei!" aufgetreten sind. Daneben wuseln unzählige Kinder, die laut heulen, weil sie am liebsten Eis, Pizza und Zuckerwatte gleichzeitig fressen würden.

Und während man so über die Promenade läuft, fällt einem auf, daß hier im Strandbad Wannsee die Zeit stehen geblieben ist: In den Baracken, die schon seit Jahrzehnten auseinanderzufallen drohen, befinden sich immer noch dieselben Imbißbuden und Läden wie in den guten alten 80ern. Und so bestellt man etwas sentimental eine Portion der legendären Strandbad-Pommes mit einem ordentlichen Schuß Mayonnaise aus einer verklebten weißen Flasche, die wahrscheinlich schon seit Anfang der Saison in der Sonne steht und Salmonellen heranzüchtet.

Nun ist man gestärkt und kann mit vollem Magen ins Wasser hüpfen. Vorher pustet man in der prallen Sommersonne aber noch eine Luftmatratze mit sieben Kammern auf - bis einem schwarz vor Augen wird oder das Trommelfell platzt.

Nahe des Ufers ist das Schwimmvergnügen noch etwas getrübt: Kleine Kackwürste, benutzte Tampons und Binden schwimmen um einen herum, und das gesamte Wasser ist verdächtig warm. Jetzt bloß nicht mit dem Kopf unter Wasser und nichts verschlucken. Etwas weiter draußen ist es aber herrlich, nur leider läßt sich kein Schwimmstoß so richtig genießen, weil man immer ein Auge darauf haben muß, daß einem währenddessen nicht irgendjemand am Strand den Rucksack samt Kreditkarten, Handy, Autoschlüssel und Sozialversicherungsausweis klaut.

Aber so schlimm wäre das jetzt eigentlich auch nicht mehr, denn zu dieser Zeit ist das vor der Feuerwehrzufahrt geparkte Auto schon längst abgeschleppt, weshalb der gesamte heutige Strandtag ohnehin schon mit ungefähr 250 Euro zu Buche schlägt - aber das ist immer noch billiger als eine Woche Last Minute Urlaub nach Mallorze und hat zudem noch viel mehr Stil.

Prinz Pikkolo, August 2003