Kolumnen 2003

                                                   Wellness Wahn


Überall in der Stadt sprießen Fitneß- und Wellness-Clubs aus dem Boden. Dort kann man sich herrlich körperlich ertüchtigen (siehe Kolumne Dezember 2002) oder aber auch genüßlich nach dem Workout einem Wellness-Wahn verfallen.

Zuerst geht's - ein langes Sauna-Handtuch um die Hüften geschwungen - in die weiß gekachelte Massendusche. Irgendwie ist man etwas peinlich berührt, weil sich dort gerade ein aufgepumpter tätowierter Berufstürsteher ganz ungeniert sein Geschlechtsteil rasiert. Also geht man in die andere Duschecke. Aber als man sich dort dem herrlichen Naß hingeben will, läßt ein durchtrainierter Bursche mit regenbogenfarbenen Badeschlappen versehentlich seine Seife auf den Boden fallen. Bei aller Höflichkeit, bücken tut man sich in dieser Situation lieber nicht - also schnell in den Wellnessbereich.

Man beginnt ganz klassisch mit einem Saunagang. Überall sitzen splitterfasernackte Männer und Frauen, wie „Steiff"-Tiere in einem IKEA-Billy-Regal gestapelt. Leider ist nur noch auf der obersten Sitzbank ein Plätzchen frei. Egal, man ist ja schließlich kein Weichei, und so schmilzt man bei nahezu 100 Grad vor sich hin. Genau neben einem sitzt ein ganz haariger Dicker, der sich mit einer speziellen Saunabürste den pelzigen Rücken schrubbt. Die bröselnden verschwitzten Hautschuppen machen einem aber weniger zu schaffen, als die brüllende Hitze. Langsam wird der Siedepunkt erreicht, die Haut schlägt beinahe Bläschen, das Gehirn scheint zu sublimieren. Während man schwindelnd gegen die anstehende Ohnmacht kämpft, kommt ein Kamikaze-Sauna-Freak auf die glorreiche Idee, einen Aufguß zu machen. Also schüttet der Typ pedantisch eine Mixtur aus Tannen-Fichtennadel-Orangen-China-Öl auf die heißen Steine und schwenkt daraufhin unentwegt sein riesiges Handtuch. Er fächelt und wedelt und will gar nicht mehr aufhören. Die Luft brennt, es wird einem schwarz vor Augen, und es besteht kein Zweifel, daß das der Moment ist, wo man diesen Raum schleunigst verlassen sollte, um keine bleibenden Schäden davonzutragen. Also klettert man geschwächt von der obersten Bank über diverse Nackte, stolpert, wäre beinahe in den Ofen gefallen und rutscht fast auf den glitschigen Fliesen aus.

Endlich draußen, schlurft man benommen in die Eisgrotte, um sich dann mit einem Wasserschlauch eiskalt abzuspritzen. Irgendwie erinnert man sich noch an eine Saunaregel, die besagt, daß man den eisigen Wasserstrahl zuerst auf den Oberkörper, bzw. auf die linke Brust richten muß. Erst ganz zum Schluß auf die Füße und Hände. Oder war es andersherum? Egal, die ganz harten Saunisten springen sowieso mit einem Kopfsprung in das fast gefrorene Tauchbecken.

Danach legt man sich klitschnaß und halbnackt auf eine Liege und versucht, sich zu entspannen. Das wäre auch möglich, wenn nicht ein paar Proleten lärmend im Pool herumtoben würden und man einem Typen nicht aus dem Augenwinkel dabei zusehen müßte, wie er sich auf seiner Liege die langen Fußnägel schneidet. Man atmet tief ein und macht ein kurzes autogenes Training.

Wieder beruhigt, versucht man, die eben gesammelten Eindrücke während des Saunaganges und die Ergebnisse dieser empirischen Studie in eine private Theorie zu übertragen. Arbeitstitel: „Wer hat die ausgeprägtesten primären Geschlechtsmerkmale?" Also kategorisiert man nach Gewicht, Größe, Alter, Nationalität, Hautfarbe, etc. und überprüft sämtliche Thesen, ob bezüglich dieser Variablen bestimmte Zusammenhänge und Regelmäßigkeiten existieren. Die Ergebnisse können an dieser Stelle aus Jugendschutzgründen nicht veröffentlicht werden. Nur soviel kann gesagt werden: Die normalsten und unscheinbarsten Leute haben an den unmöglichsten Stellen Intim-Piercings. Zudem korreliert Intim-Piercing sehr stark (Korrelationskoeffizient von mindestens 0,9) mit vollständiger Blanko-Schamhaar-Rasur. Überprüft werden muß noch die These, daß es sich bei diesen Leuten zudem um leidenschaftliche Swinger handelt. Alles kann, nichts muß!

Nach diesen Überlegungen geht es in die Dampf-Sauna. In dem Plastikkäfig herrscht 98%ige Luftfeuchtigkeit, weshalb es kochendheiß von der Decke tropft. Ein dampfender Bakterienherd, zumal da jeder nackt auf den Plastikbänken rumrutscht. Eucalyptus-Konzentrat wird durch eine Düse in regelmäßigen Abständen in die Kammer gepustet, und viele bunte Lichter blinken in verschiedenen Farben. Die Licht- und Aromatherapie ist gut für die Seele. Dazu im Hintergrund fröhliches Vogelgezwitscher oder Meeresrauschen vom Tonband.

Im Rahmen eines anständigen Wellness-Programms darf das Solarium natürlich nicht fehlen, denn auch in den Wintermonaten will man schließlich nahtlos brutzelig braun wie eine Weihnachtsgans sein. Also legt man sich ohne Augenschutz unter die Neonlichter eines Powergrills und macht dort ein erholsames Nickerchen von mindestens 50 Minuten.

Danach geht's (während kleine weiße Blitze über die Regenbogenhaut zucken) in einen köchelnden Whirlpool. Während man da drin sitzt und blubbernde Blasen neben einem aufsteigen, hofft man insgeheim, daß hier nicht vorher der komische Bodybuilder mit den dicken eitrigen Pusteln auf dem Rücken geplanscht hat.

Anschließend legt man sich auf eine Chillout-Massageliege in der Wellness-Grotte und schlürft Ayurveda-Tee. Herrlich, man fühlt sich plötzlich wie neu geboren, denn das Herz rast so schnell wie noch nie. Jetzt fehlt nur noch ein Ganzkörper-Peeling, und so läßt man sich in einem gekachelten Raum mit kribbeligen Tinkturen und Lotionen einreiben, bürsten, drücken, ziehen, quetschen. Abschließend nimmt man ein heißes Orangen-Limonen-Bad, während man durch eine Maske eine kleine Portion reinen Sauerstoff schnüffelt. Aus dem Nebenraum tönen monotone „Ommm"-Geräusche, die von den Teilnehmern des fernöstlichen Meditationskurses „Nirvana für Fortgeschrittene" stammen.

So, das war der erste Durchgang. Jetzt muß man dasselbe Programm aber natürlich noch mindestens drei- bis viermal wiederholen, denn sonst würde sich ja nun wirklich nicht der saftige Monatsbeitrag lohnen. Auf die Gesundheit!

Prinz Pikkolo, Februar 2003.