Kolumne Oktober

                                   ö.k.: ökologisch korrekt  -  die Oktober-Kolumne

Ökoläden liegen ganz groß im Trend. Überall sprießen sie wie Sojasprossen aus dem Boden. Grund genug, einmal das Gewissen zu beruhigen und einen ökologisch korrekten Einkauf zu tätigen:

Mit einem schönen Bastkorb in der Hand, schlendert man also guter Dinge durch einen Berliner Hinterhof, wo etwas versteckt, ein kleiner Ökoladen liegt. Knöterich rankt an der Mauer entlang, eine handgeschnitzte Holzbank steht neben der Eingangstür und alles erinnert an Ferien auf dem Bauernhof.

Man betritt nun vollkommen entspannt den Laden, doch kurz darauf wird die Idylle etwas getrübt. Eine sechsköpfige Waldorf-Familie streitet lautstark vor einem Regal mit ökologisch wertvollen Gummibärchen ohne Gelatine. Die Mutter, gehüllt in einen selbstgenähten Filzmantel, ermahnt ihre Kinder: „Nein, Torben, Jasha, Dörte und Samuel! Wir hatten das doch alles schon einmal im Plenum diskutiert! Gummibärchen gibt es nur einmal im Jahr, und zwar zu Weihnachten! Ihr habt doch gerade Kordhosen, Holzspielzeug und Wachsmalkreide bekommen! Und Zuckerbrause gibt es auch nicht!"

Nun steckt man sich natürlich vor den Augen der Kinder drei Tüten Gummibärchen in den Einkaufskorb, leckt sich dabei über die Lippen und streichelt sich genüßlich sein Gourmetbäuchlein. Dann schlendert man zur Wursttheke. In diesem Moment drängelt sich ein vollgekiffter 1. Mai Demonstrant an einem vorbei und fragt unendlich langsam, ob es hier auch „Vogelfutter" (in Gänsefüßchen!) aus Hanfsamen zu kaufen gibt und zwinkert dabei mit seinem rechten roten Auge. Sorry, keine Ahnung, man ist leider ganz neu hier.

Während man an der Wursttheke 100g Öko-Gehacktes bestellt, denkt man kurz an all die glücklichen Schweine, Rinder und Hühner, die fröhlich tirilierend über eine Wiese gehüpft sind, auf der kleine Bienchen surrend pittoreske Blüten bestäubt haben, und wie die hübsche Bäuerin jeden Abend zu ihnen in den Stall gekommen ist und liebevoll Schlaflieder vorgesungen hat, bevor sie ihnen das Licht ausgeknipst hat. Seufz!

Man ist ganz in Gedanken versunken. Plötzlich pöbelt genau neben einem ein militanter Veganer und hält mit geschwollener Halsschlagader ein mit Edding beschriftetes Transparent mit „Fleisch-Faschist, verrecke!" in die Luft.

An der Käsetheke dauert es etwas länger, weil ein Mann mit Gebärdensprache ein paar Käsescheiben bestellt. Die Verkäuferin ist sehr geduldig und erklärt, daß er noch nie geredet hat, aber nicht stumm ist, sondern 24 Stunden meditiert und immer im Nirvana ist. Mann, ist der druff, denkt man bei sich und will zum nächsten Regal laufen. Doch plötzlich bietet sich folgende Szenerie: Eine ehemalige Gomera-Aussteigerin mit Stirnband und geflochtenen Zöpfen unter den Achseln läßt sich mehrere Käsestücke von der gleichen Sorte geben. Sie legt die Stücke fein säuberlich in einem Kreis auf die Theke und holt aus ihrem Filzbeutel einen Pendel, um damit das Stück Käse auszupendeln, das die besten Schwingungen hat. Dieses Stück steckt sie in ihre Tüte, die anderen gibt sie angewidert zurück.

Warum nicht? Während sich ein Tantrakurs-Schüler mit seiner Lehrerin, ein Atomkraft- und Globalisierungsgegner an einem vorbeidrängeln, beobachtet man einen Alt-68er-Kommunen-Bewohner, der eine Packung Öko-Eis auf der digitalen Gemüsewaage abwiegt und kurz darauf einen unglaublichen Tobsuchtsanfall bekommt, weil die Waage 2 Gramm weniger anzeigt, als auf der Packung angegeben ist. Er pöbelt und randaliert, weil er in seinem ganzen Leben noch nie so derbe beschissen wurde und rechnet die 2 Gramm hoch auf all die Wochen, Monate und Jahre, die er das Öko-Eis schon gekauft hat und um wieviel Tonnen er insgesamt schon betrogen wurde. Gleich wird er vollends durchdrehen und daher begibt man sich schnell in Richtung Kasse.

Dort steht genau vor einem ein verwirrter Mann, der riesige Plastikflügel an seinen Rücken geschnallt hat und absolut davon überzeugt ist, er sei ein Engel. Diesen Freak nimmt man aber gar nicht so richtig wahr, denn die Frau, die gerade bezahlt, weigert sich mit Händen und Füßen, daß ihre Produkte über den roten EAN-Scanner an der Kasse gezogen werden. Schließlich könnte das Dinkelmüsli dabei verstrahlt werden.

Völlig perplex und peinlich berührt verläßt man einige Minuten später den Laden. Man schüttelt fassungslos den Kopf. Ist denn das die Möglichkeit? Warum um Himmelswillen, ist man eigentlich nicht schon viel früher in einem Ökoladen einkaufen gewesen?

Prinz Pikkolo, Oktober 2002.